Leugnen hilft nichts mehr

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25.02.2018 17:40 (zuletzt bearbeitet: 27.02.2018 10:06)
avatar  Capa
#1
Ca

Hallo allerseits, ich denke es ist Zeit das ich die Wahrheit erkenne. Ich habe ein Problem. Ich will nicht sagen, dass ich krank bin denn an einer Krankheit kann man nichts ändern und in diese Position will ich mich nicht begeben. Ich WILL es ändern. Sorry für die wall-of-text, aber ich möchte meine Geschichte erzählen. Selbst in der anonymität des Internets kostet mich das viel Überwindung, aber vielleicht hilft das ja schon. Und ich möchte auch weiterhin vorwarnen, dass es eklig werden kann.

Mein Name ist Jan, ich bin 35 Jahre alt und ziehe jeden Morgen meinen 200 Euro Anzug an um meinen Job im Finanzwesen zu betreiben. Hierfür zahlt man mir eine ziemlich große Menge Geld, mehr als angebracht wäre wahrscheinlich. Ich bin ein weltoffener Mensch, gebildet, intelligent mit sozialen Kontakten und durchaus auch tageslichttauglich. Kurz gesagt, niemand würde wohl vermuten was bei mir zuhause abgeht.

Und bis vor kurzem hätte ich mich nur als ein wenig faul bezeichnet, nie als Messie oder so. Das waren für mich immer die arbeitslosen Müllliebhaber die nicht ganz knusper im Kopf sind und dazu wollte ich nicht gehören. Sorry, will hier niemanden auf die Füße treten damit aber ich will auch ehrlich sein.

Aber ich lebe selber im Müll. Meine Wohnung ist inzwischen bis in den Zustand versifft, dass ein Entrümpelungskommando hier mit einem Schutzanzug hinein gehen müsste. In meinen Schränken steht dreckiges Geschirr und zwar in allen Schränken. Auch im Kleiderschrank zum Beispiel. Meine Kleidung die ich zum täglichen Gebrauch benötige, bewahre ich inzwischen auf meiner Couch auf. Sauberes Geschirr habe ich schon lange nicht mehr, ich gehe inzwischen jeden Abend auswärts essen. Mein Kühlschrank ist wohl auch kaputt, wie ich vor einigen Tagen feststellen musste, allerdings sind dort noch einige Essenswaren drin die wohl gerade vor sich hin gammeln.

Am schlimmsten ist meine Toilette, diese ist seit gut einem Jahr verstopft. Da ich sie natürlich weiterhin benutzen muss liegt dort auch so eine kleine Gartenschaufel und im Bad stehen große, blaue Säcke…

Ich fühle mich hier (wie man sich vorstellen kann) nicht unbedingt wohl. Jedes Mal wenn mein Handy klingelt habe ich Angst das es mein Vermieter ist, der mir mitteilt das es einen Wasserrohrbruch oder so gab und er in meine Wohnung muss. Und gegenüber meinen Freunden muss ich mir jedes Mal neue Ausreden einfallen lassen wieso sie mich nicht besuchen können. Ja sogar Dates gehen dadurch schief weil man eben niemals “zu mir” gehen kann.

Es ist auch nicht so, dass ich Dinge unbedingt aufbewahren will, weil ich sie irgendwann noch brauchen könnte. Im Gegenteil, wenn etwas kaputt geht oder so kaufe ich es neu und mache mir keine Gedanken in wieweit das Alte noch nützlich wäre. Mir ist vollkommen klar, dass dies kein angemessener Zustand ist und ich weiß auch dass ich es schaffen kann das alles nieder zu kämpfen. Zehn bis zwanzig Stunden vielleicht, ich kann im Prinzip ja das meiste wirklich weg schmeißen und neu kaufen. Dann könnte ich auch einen Klempner rufen und die Toilette richten lassen und dann einfach mal die Wände neu streichen und alles herrichten.

Wenn ich könnte, würde ich hier sogar eine große Bombe rein werfen und in einer frischen Wohnung von vorne anfangen (und mir vornehmen es nicht wieder soweit kommen zu lassen)

Ich mache mir keine Illusionen, dass ich dies Wochentags schaffen könnte. Ich gehe morgens um 07.00 aus dem Haus und bin vor 20.00 nicht wieder zurück. Aber nur ein besch... Wochenende. Für dieses hatte ich es mir (zum wiederholten Male) fest vorgenommen.

Aber was ist drauß geworden? Ich habe heute knapp 15 Minuten damit zugebracht den Flur soweit zu reinigen, dass ich zumindest mal wieder meine Wohnung betreten und verlassen kann ohne vorher darauf zu achten dass niemand im Treppenhaus ist der einen Blick auf die Zustände erhaschen kann. Allerdings habe ich dazu das meiste Zeug einfach nur in einen anderen Raum geworfen, welcher von außen nicht einsehbar ist.

Jetzt habe ich es mir für nächstes Wochenende wieder vorgenommen. Einfach mal konsequent am Samstag und Sonntag von 09.00-18.00 oder so durchziehen und in ein bis zwei Wochen wäre alles geregelt. Aber sobald es soweit ist treten geradezu körperliche Beschwerden auf. Ich fühle mich regelrecht erschöpft und lege mich erstmal hin und halte ein Nickerchen oder so. Oder ich gucke mir einen Film an oder so was. Selbst jetzt ärgere ich mich, weil ich diesen Text hier schreibe anstatt den Rest des Abends zu nutzen um noch was zu tun.

Ich weiß letztlich nicht Mal was ich genau habe. Messie-Syndrom oder Diogenes-Syndrom passt irgendwie nicht ganz weil ich weder glaube das ich den Müll noch brauchen könnte, noch mich körperlich gehen lasse. Aber mir ist klar, dass dies nicht normal ist und nicht mehr mit einfacher Faulheit erklärt werden kann.

Ich will es schaffen, aber ich fürchte eben dass ich es wieder und wieder aufschiebe und es immer nur schlimmer als besser wird. Aber vielleicht hat jemand einen Tipp was ich tun kann.


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26.02.2018 00:25
#2
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Hallo Capa

Ich bin da ganz nah bei dir, hab hier eine ähnlich Situation und Versuch mich gerade neu zu ordnen.

Nach außen bin ich die selbstbewusste junge Frau die für ihre Tochter alles tut und auch beruflich meistere ich mein Leben.
Seit 5 Jahren führe ich eine intakte Beziehung und hab ein tolles sozial Leben aber alles spielt sich außerhalb meiner Wohnung ab.

Ich finde es toll das du dich hier angemeldet hast und du dein Problem nun in die Augen schaust.
Gab es bei dir einen Auslöser?

LG


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26.02.2018 06:28
avatar  ( gelöscht )
#3
Gast
( gelöscht )

Hallo @Capa

wie wäre es mit Antriebsstörung durch Überlastung? Bei dem Arbeitspensum würde ich schon auf einen Burnout zusteuern. Dann will man zuhause nur noch dasitzen und nix machen. Wann hast du das letzte Mal richtig Urlaub gemacht, so etwa drei Wochen am Meer oder in den Bergen?

Kannst du dir vorstellen zwei Tage frei zu nehmen für deine Wohnungsarbeit? Die planst du dann wie einen Arbeitstag, ziehst Arbeitsklamotten an, machst nur um 12 eine halbe Stunde Mittagspause, von mir aus alles mit Stoppuhr. Wichtig ist, dass du genau realistische Ziele (smart Specifisch Messbar Akzeptiert Realistisch Terminiert) festlegst mit genauem Zeitplan.
Vielleicht schaffst du nur einen Teil, aber vielleicht bis zu einem Zustand, wo du an eine Putzfrau denken kannst. Das Geld hast du offensichtlich. Eine Putzfrau hält nicht nur sauber, sie ist auch so was wie eine moralische Instanz, die dich daran hindern wird alles wieder schleifen zu lassen. Einfach durch ihre Anwesenheit.

Einen Versuch ist es wert!
Die Kräuterfrau


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26.02.2018 11:29
avatar  Capa
#4
Ca

Erst einmal vielen Dank. Es tat richtig gut sich das mal von der Seele zu schreiben ohne das man gleich verurteilt wird oder das jemand extrem abgestoßen ist.

Zitat von Gescheiterte im Beitrag #2
Gab es bei dir einen Auslöser?


Nein, nicht wirklich. Ich habe schon immer ungern aufgeräumt, aber hatte es immer unter Kontrolle. Dann hat das Geschirr vielleicht mal zwei oder drei Tage rumgestanden, aber dann habe ich Musik angemacht und den ganzen Mist beseitigt. Es gab nicht diesen einen Punkt wo ich aufgegeben habe. Es war ein schleichender Prozess.

Zitat von Kräuterfrau im Beitrag #3
Hallo @Capa
wie wäre es mit Antriebsstörung durch Überlastung? Bei dem Arbeitspensum würde ich schon auf einen Burnout zusteuern. Dann will man zuhause nur noch dasitzen und nix machen. Wann hast du das letzte Mal richtig Urlaub gemacht, so etwa drei Wochen am Meer oder in den Bergen?



Nein, das denke ich kaum. Die Arbeit macht mir Spaß und ich habe niemals das Gefühl überlastet zu sein. Und auch sonst bin ich nicht antriebslos, im Gegenteil.
Urlaub mache ich auch regelmäßig und fahre irgendwo hin wo es schön ist. Auch mein soziales Leben ist ausgefüllt.
Es ist wirklich nur der Punkt, wenn ich anfangen will aufzuräumen.

Zitat von Kräuterfrau im Beitrag #3

Kannst du dir vorstellen zwei Tage frei zu nehmen für deine Wohnungsarbeit? Die planst du dann wie einen Arbeitstag, ziehst Arbeitsklamotten an, machst nur um 12 eine halbe Stunde Mittagspause, von mir aus alles mit Stoppuhr. Wichtig ist, dass du genau realistische Ziele (smart Specifisch Messbar Akzeptiert Realistisch Terminiert) festlegst mit genauem Zeitplan.


Na mit Arbeitsklamotten aufzuräumen würde ich mir ja den Anzug ruinieren ;)
Aber ja, ich verstehe was du meinst und ehrlich gesagt habe ich mir sogar schon eine Woche Urlaub genommen um das zu machen. Das Ergebnis war, dass ich es immer Tag um Tag vor mir hergeschoben habe und plötzlich war die Woche schon um. Und es wie einen Arbeitstag gestalten wird halt schwer, da ich im Büro eben auch nicht morgens anfange und dann bis zum Ende durchziehe. Man trinkt zwischendurch nen Kaffee, plaudert mit Kollegen usw.
Jedoch werde ich dieses Wochenende mal versuchen das auch zuhause so zu machen. Denn trotz kleinerer Pausen schaffe ich ja, was an Aufgaben ansteht. Evtl. wenn ich mir selber vorher ein Ziel setze und das schriftlich festhalte.

Alles in allem möchte ich halt auch keine Urlaubstage mehr dafür opfern. Denn das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber ich sehe im Moment diesen Zustand als Feind an und dem Feind will ich keine Zugeständnisse machen. Ich bekämpfe ihn nach meinen Regeln.

Ich nehme mir halt immer vor mal ein Wochenende zu opfern und das ganze durchziehen. Dann nehme ich mir extra "frei" dafür, treffe mich mit niemanden usw. Aber wirklich Erfolg habe ich dadurch nicht gehabt. Aber mir ist bei der Stoppuhr-Sache noch ne Idee gekommen. Ich werde jetzt erstmal anfangen jeden Abend, wenn ich nachhause gekommen bin, 15 Minuten aufzuräumen. Ich stelle die Stoppuhr und lege los. Und sobald die 15 Minuten um sind höre ich wieder auf.

Zitat von Kräuterfrau im Beitrag #3

Vielleicht schaffst du nur einen Teil, aber vielleicht bis zu einem Zustand, wo du an eine Putzfrau denken kannst. Das Geld hast du offensichtlich. Eine Putzfrau hält nicht nur sauber, sie ist auch so was wie eine moralische Instanz, die dich daran hindern wird alles wieder schleifen zu lassen. Einfach durch ihre Anwesenheit.



Über eine Putzfrau hatte ich auch schon nachgedacht und auch schon überlegt mir so eine Aufräumhilfe für Messies zu buchen. Aber ehrlich gesagt ist mir Letzteres noch zu peinlich. Vielleicht wäre es anders, wenn ich nur nutzlose, unverderbliche Waren herumliegen hätte. Aber das ist es wie gesagt nicht.
Außerdem hätte ich es dann eben nicht alleine geschafft.
Mein Plan für diese Woche sieht erstmal folgendermaßen aus.

1. Jeden Tag 15 Minuten aufräumen, nicht länger aber auch nicht kürzer. Egal wie spät ich nach Hause komme. Selbst wenn ich totmüde bin, die 15 Minuten weniger Erholung machen dann auch nichts mehr aus.

2. Mir vornehmen am Wochenende intensiv zu arbeiten. Dabei aber nichts aufgeben was ich gerne mache. Das heißt wenn sich für Samstag oder Sonntag noch ergibt das ich irgendwo ausgehe, dann tue ich das auch. Aber dann räume ich eben auf bevor ich aus dem Haus gehe und dann an dem anderen Wochenendtag umso mehr.

3. Am Freitagabend an mich selber ein Memo schreiben was ich für den Samstag erledigen will und das dann durchziehen. Sobald ich damit fertig bin entscheide ich ob ich an diesem Tag noch mehr mache oder für den Tag aufhöre. Dann werde ich nur noch aufschreiben was ich am Sonntag erledigen will und dass dann durchziehen.

4. Bis zum 11.03. die Wohnung soweit gereinigt haben, dass ich die Woche danach den Klempner rufen kann. Am besten schon vorher.

5. Spätestens am 17.03. streiche ich die Wände neu.

6. Am 18.03 um 20.00 möchte ich auf meiner Couch sitzen, meinen Laptop aufklappen und hier im Forum schreiben können: "ICH HABE ES GESCHAFFT!"


Ich weiß nicht woran es liegt, vielleicht nur daran das ich zum ersten Mal eine Sache anderen Menschen mitteilen konnte die mich stark belastet und über die ich mit niemanden reden kann. Aber ich habe irgendwie gerade das Gefühl, dass ich es wirklich schaffen kann. Gestern Nacht habe ich noch den Kühlschrank ausgeräumt. Das war zwar nur eine Kleinigkeit von zwei Minuten, aber ich habe es nicht vor mir her geschoben.

Auf jeden Fall werde ich hier meinen Fortschritt schreiben, ob es jemand liest oder nicht ist dabei weniger wichtig. Aber damit habe ich auch eine Selbstkontrolle, denn jetzt muss ich meinen Worten auch Taten folgen lassen.

Abschließend hätte ich noch zwei kurze Fragen.

1. Etwas ganz praktisches: Irgendwo muss der ganze Müll ja hin und da unsere Haustonnen sowieso immer voll sind hatte ich mir überlegt einen Sprinter zu mieten und alles einfach mal zur Müllkippe zu fahren. (in mein Privatauto möchte ich das nicht tun und das wäre auch gar nicht groß genug)
Allerdings weiß ich nicht wie genau das ist, kann ich da einfach sagen "Habe hier 30 Säcke Hausmüll, Sondermüll ist nicht dabei" und denn dann ohne weitere Nachfragen entladen? Da dort halt sehr viele unappetitliche Dinge dabei sein werden möchte ich ungern, dass da evtl. noch der Inhalt "kontrolliert" wird.

2. Nur mal Interesse halber: Irgendwie falle ich weder unter das Diogenes- noch unter das Messiesyndrom. Denn ich horte ja nicht weil diese Dinge irgendwie einen Wert für mich hätten. Wenn das also nicht zutrifft und Überarbeitung auch nicht wirklich der Grund, was kann es dann sein? Einfach nur übernatürliche Faulheit, geparrt mit einem Organisationsproblem? Ich kann mir das irgendwie kaum vorstellen und ich kann auch nicht verstehen, wie jemand seine Wohnung so verkommen lassen kann wie ich es getan habe.


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26.02.2018 12:04
avatar  Anneli
#5
An

Hallo Capa,
du kannst bei der Gemeinde (Stadtverwaltung) Zusatzmüllsäcke kaufen. Bei uns kosten sie 5 Euro das Stück. Die werden einfach am Abholtermin neben die Mülltonnen gestellt.

Im Internet kannst du erfahren, welches Müllunternehmen bzw. welcher Wertstoffhof für deinen Bezirk zuständig ist und welche Möglichkeiten die bieten. Dort kannst du z.B. fragen, ob sie die Zusatzsäcke kostenlos annehmen, damit du nicht nur auf die Abfuhrtermine festgelegt bist oder ob sie überhaupt Hausmüll annehmen.

15 Minuten sind eine gute Zeit, um anzufangen, ob du dabei direkt ans Aufräumen gehen solltest oder dich lieber erst mal darum kümmerst, dass der Müll raus kommt, ist zu überlegen. Solltest du merken, dass 15 Minuten dir zu schwer fallen, dann verringer die Zeit, bis es für dich passt. Es ist besser tatsächlich 5 Minuten etwas zu tun als sich 15 Minuten vorzunehmen und dann gar nicht erst anzufangen, weil einem die Zeit zu lang wird.

Hilfreiche Tipps findest du hier:

messieforum.de/t481f9-Spar-dir-das-Putzen-Ordnungssysteme.html

(Bitte die Zeile markieren, kopieren, in die Browserzeile einfügen und bestätigen. Man kann hier keine Links setzen!)

Sehr zu empfehlen sind auch die anderen Threads in dem Oberthema: "Die Hilfe zur Selbsthilfe in der Familie und im Alltag" von "Gelöschtes Mitglied".

GLG und uns allen einen wunderschönen Tag,
Anneli


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