Tochter schwieriger Eltern

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01.04.2016 16:24
avatar  Vega
#1
Ve

Hallo an alle,

ich bin 45 Jahre alt und leide schon so lange ich denken kann unter dem Lotterhaushalt meiner Eltern. Sie sind nicht wirklich Messies, aber sie sind so ganz anders als andere Leute.

Bei uns zu Hause war nie irgendwas schön, sauber, heil, vorzeigbar oder sonstwie dem zeitgemäßen Standard entsprechend. Alles war immer dreckig, kaputt, stank, schimmelte oder war provisorisch zusammengefriemelt.

Meine Mutter machte eine regelrechte Tugend daraus, viereckige Batterien an runde Batteriefächer anzuschließen oder Besenstiele als Kleiderstangen zwischen zwei Schränke zu nageln. Sie reparierte sogar den Kühlschrank mit Paketklebeband. (Sie ist tatsächlich technisch ambitioniert!)

Meinen Vater interessierte der Haushalt nicht sonderlich, der hatte seinen Garten und seine Laube. Auch diese war zuletzt aber nur noch eine Ansammlung von Provisorien, kaputtem Zeug und Müll.

Wohl gemerkt: Ich habe meine Eltern als Kind geliebt und ich liebe sie heute.
Aber ich habe mich mein ganzes Leben lang für mein Zuhause geschämt.

Gesagt habe ich ihnen das nie. Und sie hatten sich selbst die Einstellung zurechtgebastelt, dass sie eben "einfache Leute" wären. Wer mehr hatte oder schöner wohnte, das wären dann "feine Leute". So etwas wollten sie gar nicht sein. "Sauber" war für sie gleich "fein" - und das lehnten sie ab.

Vermeintliche Erleichterung kehrte ein, als ich mit meinem Freund und späterem Mann zusammen zog. Er war aus gutem, sehr sauberem Hause. Ihn hat das Chaos bei mir zu Hause immer angeekelt. (Was wunder.) Und für mich war es jedes Mal die Hölle, wenn ich ihn mitbringen musste, wenn wir eingeladen waren bei mir.

Heute lebe ich mit meinem Mann (dem gleichen wie damals) 800 Kilometer von meinem Elternhaus entfernt. Ich habe einen funktionierenden, gut geregelten Haushalt, in dem ich Besuch empfangen kann, ohne im Boden zu versinken.

So weit so gut. Jetzt zu meinem "running Problem".

Leider sind meine Eltern mittlerweile alt und sehr krank. Vater kann kaum mehr laufen. Mutter hat schwer Krebs, Diabetes etc. pp. Beide sind seit November 2015 in ihrer Lotterwohnung mehrfach gefallen, waren wiederholt im KH und dergleichen. Meine Mutter lag Anfang 2016 zudem mit Hirnblutungen auf Intensiv - mit Prognose auf "kurzen Verlauf". Sie erholte sich aber wieder.

Als gute Tochter bin ich in dieser Zeit natürlich so oft es ging die 800 Km nach Hause gefahren, um zu helfen. War nicht leicht für mich, mehrere Tage oder sogar Wochen wieder im alten zu Hause zu verbringen. Saubere Bettwäsche gab es nicht, frische Handtücher gab es nicht. Stattdessen gab es in der Küche Fliegenschwärme und in meinem "Gästezimmer" Motten. Der Haushalt war ihnen nun endgültig entglitten. Wäre das Gesundheitsamt vorbeigekommen, die hätten die Bude kurzerhand geschlossen.

Für mich stellte sich die Frage: Lasse ich die Eltern da weiter wohnen oder gebe ich sie in ein Heim? Alleine kamen sie definitiv nicht mehr klar. Sie drohten komplett zu verwahrlosen und vierter Stock ohne Aufzug macht sich für zwei Gehbehinderte ja auch nicht sonderlich nicht gut.

Ja, und gute Tochter, wie ich bin, habe ich sie nun zu mir ins Haus geholt. Sie wohnen unten, in der Einliegerwohnung. Dort versuche ich nun, in kleinem, abgesicherten Rahmen, das tägliche Chaos zu kontrollieren. Die Konflikte kann man sich denken.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich fühle mich zwischen Dreck und Zuneigung zerrissen. Mein Verstand hängt oft am seidenen Faden. Ich wünsche mir Austausch mit Menschen, die wissen, wie sich das anfühlt.

Wer möchte, und das alles hier eventuell gelesen hat, darf mir gern antworten. Ich würde mich freuen.

Grüße Vega


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01.04.2016 17:18
avatar  Wolfram
#2
Wo

hallo Vega,

herzlich willkommen hier.

Hast Du denn mal Deine Eltern gefragt, was die wollen? Was Deine Eltern wollen und denken, davon hast Du nichts geschrieben.
Du schreibst immer nur von Dir, was andere denken könnten, was aber nicht so sein muß. Ich weiß, dass das immer so ist, weil Du ja auch nur von Dir schreiben kannst.

Den Besenstiel find ich richtig gut, bei mir ist aber noch keine Kleiderstange kaputt gegangen. Kaputt ist manchmal auch eine Ansichtssache, kaputt ist nicht gleich funktionsunfähig.

viele Grüße
Wolfram


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01.04.2016 19:12
avatar  Vega
#3
Ve

Hallo Wolfram,

ja, ist toll, wenn man improvisieren kann.

Meine Eltern würden natürlich gern so weitermachen, wie sie es gewohnt waren.
Geht leider nicht, aus genannten Gründen.

Sie haben mich vorsorglich, schon vor Jahren, dermaleinst als Vormund bestimmt.
Und sie wollen keinesfalls ins Heim.


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02.04.2016 13:17
avatar  suse
#4
su

habe heute morgen deinen Eintrag gelesen echt ne schwierige Situation.

Da ich selbst nen Chaostyp bin und schlecht Ordnung halten kann hab ich viel Verständnis für vielerlei Situationen und bin sehr offen für unterschiedliche Denkweise. Versuche immer aus der Sicht des betroffenen zu schauen und wenn ich das nicht kann dann darf ich auch nicht negativ davon denken. Zumindest deckt das viele Lebenssituationen ab...
Ich finde es sehr groß von dir deine Eltern bei dir aufzunehmen. Bringt sicher viel Unruhe ins Leben. War dein Mann damit einverstanden? Oder hat er es hingenommen?
Grundsätzlich bin ich der Meinung das jeder für sein eigenes Leben zuständig und verantwortlich ist und niemand ist im recht oder kann sich das recht erwarten oder voraussetzen das man sein eigenes Leben aufgibt...
Ich weiß das ist einfach gesagt und ich weiß auch nicht wie ich mich verhalten werde wenn meine Mutter mal "soweit" ist. Hab aber mitbekommen als mein Vater pflegebedürftig wurde wie sehr das das leben umdreht...
800 km von dir entfernt ist natürlich auch sehr viel. Aber wäre ein Gedanke an betreutes wohnen nicht ggf. denkbar?
Gruß
Suse


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02.04.2016 14:05
#5
avatar

Hallo vega,

herzlich willkommen hier! Das ist ein wichtiges Thema über das du schreibst, und du bist gewiss nicht die einzige, die da ein Problem mit älteren Eltern hat.

Einen Vormund gibt es ja nun nicht mehr, hast du über das Amtsgericht die Betreuung übertragen bekommen, schon früher oder jetzt, und für welche Lebensbereiche? Oder hast du eine Vollmacht der Eltern, dass du sie gegenüber den Behörden vertreten kannst?

Ein Betreuer handelt im Sinne seines Betreuten, dazu gehört, dass er einerseits eine akute Gesundheitsgefährdung ausschließt, andererseits aber nach dem Willen des Betreuten verfährt, so lange keine große akute Gefährdung entsteht. Paketklebeband-Reparaturen oder eingestaubte Haufen Zeug stören zwar das ästhetische Empfinden vieler Menschen, stellen aber keine wirkliche Gefahr dar.

Ich denke, an sich ist es bei euch super gut gelaufen, dass deine Eltern einen Partner gefunden haben, der gerne so lebt wie Kinder ihre "Buden" bauen, einfach immer improvisieren. Sie wären sicher prima Pioniere im Wilden Westen gewesen und hätten noch aus "Nichts" etwas machen können. Das ist eigentlich eine Eigenschaft, aus der unser heutiger Fortschritt entstanden ist.

Du hast dagegen ein feineres ästhetisches Empfinden und magst deine Wohnungsumgebung schön gestalten, fast wie ein kleines Kunstwerk, oder? Und auch du hast den passenden Partner dazu. Ihr seid euch da einig, dass ihr ein ansprechendes Umfeld haben wollt und genießt es.

Nun wird es für dich problematisch, weil die Eltern in eurer Einliegerwohnung leben.
Haben sie eine Pflegestufe?
Dann gib so viel wie möglich an einen Pflegedienst ab, selbst zum Aufräumen kann mal jemand kommen und z.B. Bad und Küche sauber machen.

Entgegen aller sonstigen Meinungen dürfen ältere und pflegebedürftige Menschen auch gerne in einer Rumpelbude sitzen, so lange nichts schimmelt und fault und kein Ungeziefer durch die Gegend läuft. Da schaut auch der Pflegedienst nicht links und nicht rechts, wenn sich sonstwas türmt, das fällt unter das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Menschen! Sogar in Pflegeheimen respektiert man weitgehend die Eigenarten der Bewohner.

Wichtig ist, Bad und Küche sollen hygienisch sein, Bett und Bettwäsche auch, ausreichend (aber nicht übertrieben) Körperpflege und frische Wäsche sind notwendig. Ob deine Eltern aber Zeitungen stapeln, die Klamotten einem Hügel bilden, sie das Zeug außen an den Schrank hängen - das ist egal.

Ich kenne eure finanziellen Möglichkeiten nicht, und auch nicht die der Eltern.
Bringst du ihnen die Mahlzeiten und machst die Wäsche?
Auch wenn dein Mann sich sozusagen schubbert, wenn er an die Lebensweise deiner Eltern denkt ... so lange keine Gesundheitsgefährdung besteht oder das Haus nicht kaputt geht, würde ich sagen, einfach lassen. Das entspannt dich am besten, und - auch wenn es jetzt negativ klingt ist es nicht böse gemeint - es ist kein Projekt auf die nächsten 20 Jahre, oder?

Deine Eltern wollen weiterleben wie immer, und du hättest gerne, dass sie jetzt in einer schön gepflegten Umgebung leben. Was könnte ein Kompromiss sein, damit ihr alle ein wenig zurück steckt und euch nicht gegenseitig aufreibt?
Wie groß ist die Einliegerwohnung?
Kannst du da ein Zimmer einigermaßen dem Wirken der Eltern überlassen, und speziell dafür sorgen, dass die Feuchträume immer in Ordnung sind?

Ich wünsche dir viel Geduld und Fingerspitzengefühl, für euch alle eine lebbare Lösung zu finden, eine bei der dein Mann nicht völlig zickig wird, bei der deine Eltern nicht leiden, und bei der du dich nicht aufreiben musst.

Viel Kraft und Energie für dich, ich habe meinen Vater jahrelang gepflegt, und weiß dass es keine leichte Last ist, für Angehörige zu sorgen. Zugleich aber ist es etwas Schönes, für jemand sorgen zu können und ihn froh zu machen ...

____________________
Viele Grüße, Jennifer

Das Leben umarmen ... ✨🤲

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