vom Dürfen und Wollen

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28.04.2017 15:00 (zuletzt bearbeitet: 28.04.2017 15:24)
#1
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Moderator

Ich will abnehmen. Dieser Zustand des Wollens ist kein Zustand des Werdens. Das ist ein Zustand der Sehnsucht. Ich darf also Gemüse essen. Ich darf auch Reis essen. Ich darf aber keine Nudeln, keine Kartoffeln, kein Obst (wegen des Diabetes=Fruchtzucker), kein Yoghurt (darin sind immer mehrere Würfel Zucker enthalten, auch in Diätjoghurt ist nicht nur Süßstoff), keine Schokolade, keine Chips, keine Erdnussflips, keine Pizza, keine Fertigprodukte usw.

Was ich essen darf, schmeckt mir nicht. Mir schmeckt aber fast alles, was ich nicht essen darf. Ich halte also gerade mal eine Woche durch, in der ich kein Pfund abgenommen habe. Steige auf die Waage und sage: "Scheiße!" Und hör wieder auf damit. Einmal, weil es sowieso schwer fällt, und einmal, weil ich zugenommen habe statt abgenommen.

Früher als Kind habe ich mal versucht, zu essen, was mir nicht schmeckt. Ich hatte einen Würgreflex und kriegte es einfach nicht runter. Wenn das Essen nach gar nichts schmeckte, war das noch Glück. Dann schmeckte es ja auch nicht schlecht. Zwar nicht gut, aber auch nicht schlecht, trinkt oder schlingt man halt runter die Suppe oder was auch immer. Gemüse, die nach nichts schmecken, sind für mich beispielsweise Kartoffeln (außer ich bereite sie zu, haue ne Menge Salz rein), Paprika, Zucchini, Broccoli, Gurken, Artischocken, Blumenkohl, Spargel (außer er ist alt, dann schmeckt er bitter) und was überhaupt nicht schmeckt, ist z. B. Rote Bete, Rosenkohl, Grünkohl, Zwiebeln, Knoblauch... Gemüse, das nach was schmeckt und gut schmeckt, sind Karotten, Erbsen und Bohnen. Das wärs dann. Alles andere ist ja verboten, was ich gern mag an Obst und Gebäck. Wenn mir als Kind der Fraß zu Mittag nicht schmeckte, habe ich so getan, als wäre ich nach ein paar Bissen satt. Sobald die Argusaugen meiner Mutter nicht mehr folgten, habe ich dann im Garten Beeren oder Äpfel genascht, oder bin zum Dorf-Tante-Emma-Laden gegangen und hab mir dort was zu Naschen gekauft.

Beim Ernährungsberater, der individuell berät, war ich zuletzt im Jahr 1996. Da hab ich halt das gegessen, was ich mag, und das war halt immer nur das selbe. Mit dem Trinken ist es ähnlich: In den Tee darf ich keinen Zucker und keinen Honig tun, also tu ich Erythrit rein, das wird aber aus Maissirup gewonnen und macht dadurch auch dick. Also trinke ich keinen Tee mehr. Wasser mit Sprudel dehnt den Magen aus, da hat man mehr Hunger, also trinke ich nur noch Leitungswasser. Im Saft ist ja auch wieder Zucker drin.

Wer kann sich vorstellen, dass so eine langweilige, einseitige Ernährung schmeckt, und man die durchhält? Genau. Denn Fleisch hat ja wieder so entsetzlich viel Energiedichte, macht also auch wieder dick. So weiche ich auf Fisch und Geflügel aus, das ist magerer. Bratwurst geht überhaupt nicht, damit kann man dünnen Menschen zum Zunehmen verhelfen.

Was ich darf, will ich nicht. Was ich will, darf ich nicht. Das heißt meine Ernährung steht permanent mit meinem Gewicht auf Kriegsfuß. Ich esse nicht das, was ich essen soll, dafür esse ich alles das, was ich nicht darf, denn umgekehrt halte ich das nicht durch. Kann also gar nicht mit Diät oder Ernährungsumstellung anfangen. Wenn ich anfange und gleich der erste Tag schmeckt wie schon mal gegessen oder nach nichts, ist der Rückfall nur ein paar Stunden entfernt.

Also fange ich an, zu mogeln. Ich esse dann eben Obst, obwohl es verboten ist. Karotten haben auch wieder viel zu viel Fruchtzucker, und esse ich Süßes, nehme ich eben eine Metformintablette. Wenn es gar nicht anders geht, esse ich eben eine Schokolade mit Fruchtzucker, oder eben einen Riegel, oder ein paar Kirschen. Ist es so schwer, überhaupt was zu ändern, gehe ich lieber ins Fitnesscenter, als mir alles zu verbieten, was schmeckt.

So ist das mit der gesunden Ernährung. Wenn man nur essen kann, was gesund ist, und die Geschmacksknospen im Mund nicht so wichtig sind, wie für jemanden, dem Genuss eben viel bedeutet, der sonst nicht viel genießen kann außer dem Essen, dann kann man sein Leben ändern, und dauerhaft auch die Statur. Bei mir geht es eben nicht. Mir ist nicht egal, was oben rein kommt. Außer dem Essen habe ich keinen Genuss mehr, außer beim Fernsehen. Vor dem TV stricke ich dann meist noch, nenne das aber auch noch Dinge, die Spaß machen. Musik hören ist auch so ein Genuss-Ding. Baden ist keins, da bin ich mit meinem unbeweglichen Körper im warmen Wasser und muss mich wieder anfassen, Waschen geht nun mal am besten im Vollbad. Auf dem Frühlingsfest oder Schützenfest kann ich nur noch ins Riesenrad und in die Fress- und Saufbuden. Früher hatte ich mehr Genuss dort, konnte ins Breakdance oder in den Polypen, oder in die Achterbahn, jetzt krieg ich die Bügel nicht mehr runter.

So ist das mit Ernährungsumstellung: Entweder ich darf:...... Oder ich darf keine ....... Bzw. ich muss......... essen, darf aber keine....... essen. Und die Geschmacksnerven zu quälen, die mir den größten Genuss am Tag bescheren, das kriegt vielleicht ein Borderliner hin oder ein Sadist. Ich bin keiner.

Viele Grüsse
Draculara

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Eine Lösung setzt ein Problem voraus. Ich kenne meine Fehler, das hält mich aber nicht davon ab, sie zu machen

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29.04.2017 06:16
avatar  TanteYo
#2
Ta

Liebe @Draculara,
Das liest sich so gequält - das tut mir echt in der Seele weh!
So habe ich mich lange Zeit gefühlt.
Wie ich das Thema angegangen bin, habe ich ja schon geschrieben, das will ich Dir hier gar nicht als Tipp mitgeben.

Du bist nicht alleine in dieser Misere. Ich denke jedem stark übergewichtigen Menschen geht es da ähnlich. Jeder hat seine Geschichte, jeder hat einen Grund (und zwar einen anderen als das Essverhalten) für das Gewicht und fast jeder leidet innerlich wahrscheinlich Höllenqualen.

Wenn Du irgendwann das Thema hinter dem Gewicht lösen kannst, wird alles andere ein Kinderspiel.

Ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass Du aus dieser Leidensschleife heraus findest.

Liebe Grüße,
TanteYo


... Ein Weg entsteht dadurch, dass man ihn geht...

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29.04.2017 09:35
#3
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Moderator

@Messie

ich hab ja schon ausgiebig mit Esther telefoniert, und sie hat mir erzählt, was sie alles isst und was nicht. Wenn ich mich daran halten könnte, wäre ich froh drüber, aber Gemüse schmeckt nun mal im Großen und Ganzen nicht. Auch bin ich kein Vegetarier, ich habe sehr früh gelernt, dass Fisch und Fleisch einen gewissen Eigengeschmack hat und deshalb nicht so stark gesalzen werden muss. Weil in der Panade altes Brötchen-"Sägemehl" drin war, hatte das auch noch eine gewisse Menge an Salz, Brötchen konnte meine Mutter ja zum Glück nicht backen. Darum hat das ja geschmeckt im Gegensatz zum Gemüse. Sie hat so gut wie kein Salz ins Essen getan, und ich musste sehr geschickt vorgehen, wenn ich meinen Teller heimlich salzen wollte, wie schon gesagt, sie wachte mit Argusaugen darüber.

Auch im Restaurant haben die Kartoffeln meist nach nichts geschmeckt, so gewöhnte ich mich an Pommes. Wenn ich selber koche, schmecken sie, weil ich ordentlich Salz rein schütte, sonst schmecken sie nach Pappe. Auch heute schmeckt Fleisch besser als Gemüse, ich kanns nicht ändern. Wenn ich meine Geschmacksnerven ändern könnte, dann könnte ich mein Gewicht ändern. Aber es geht nicht, ich habe auch schon versucht, das mit Hypnose hin zu kriegen. Der Arzt wollte mich nicht behandeln, er sagte schon am Telefon, mit Hypnose kann man keinen anderen Willen aufzwingen, wie in den Zirkusshows, wo sie Leute zum Bellen und Hampeln bringen, die sich anschließend an nichts erinnern können. Das ist eben nur Show und keine richtige Hypnose. Unter Hypnose kann man den Patienten nur anleiten, in die gewünschte Richtung zu gehen, ihn darin unterstützen, sozusagen anstupsen.

Überhaupt, die meisten Psychologen lehnen mich entweder ab und weigern sich, mich zu behandeln, und die, die mich nicht ablehnen, sind unfähig, ohne es zu wissen. Was soll eine Ernährungsberatung bringen, wenn ich von den Dingen, die ich essen darf, nur 1/10 wirklich mag? Und von den Dingen, die ich mag, nur 1/10 essen darf?

@Tante Yo Wenn ich mich wirklich quäle, dann indem ich mir mehrere Wochen verkneife, Leckeres zu essen, um irgendwann wieder alles hin zu schmeißen und dadurch 10 kg mehr wiege als vorher. Das ist der Grund, warum ich seit 11 Jahren dieses Gewicht mit mir rum schleppe. Angenommen ich hätte das nicht akzeptiert, so auszusehen und zu leben, wäre ich noch viel schwerer geworden, eben durch das Abnehmen und noch mehr Zunehmen danach. Ich werde also auch für die Ärztin nicht abnehmen und stattdessen eben Tabletten schlucken.

Irgendwann habe ich mich ja damit abgefunden. Wie du schon schriebst: Jeder stark Übergewichtige hat einen Grund. Das ist eben meiner. Ich kann mir aber noch vorstellen, wenn ich mich nach und nach dran gewöhne, jede Woche Sport zu treiben, dann eben mit Obst, Fisch und Geflügel abzunehmen. Vieles kann man in den Backofen schieben, dann muss man es nicht mit Fett anbraten. Auf Fett verzichten müsste ich schon, wegen dem Cholesterin und den Kalorien. Ketogene Diät ist nicht das Richtige, aber ich könnte mir vorstellen, das hätte ich dann schon gefunden, wenn noch Bewegung dazu kommt. Auch mit Diabetes ist absoluter Nullzucker nicht nötig. Zum Beispiel Putencurry mit Ananas, Fisch süß-sauer mit Pfirsich und Kirschen, Rehgulasch mit Preiselbeeren... Da hätte ich jetzt schon Appetit, aber es ist so früh am Morgen, dass ich noch keinen Hunger hab.

So hat eben jeder so seinen individuellen Geschmack. Heute abend gehen wir übrigens Tanzen in eine hannoversche Disco, und morgen tanzen wir in den Mai im Rockhouse.

Viele Grüsse
Draculara

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29.04.2017 15:51
avatar  Wolfram
#4
Wo

Draculara,

ich denke, in erster Linie liegt es an zuviel Salz. Salz zieht Wasser an und erhöht dadurch das Gewicht. Der Körper kann sich an weniger Salz gewöhnen. Bei Ei und Tomaten habe ich früher immer Salz dazugetan. Heute esse ich es ohne Salz.
Du gehst immer davon aus, dass Essen gut schmecken muß. Es reicht aber auch, wenn es nicht schlecht schmeckt, also neutral. Bei Durst kannst Du Leitungswasser trinken, dann schmeckt es auch. Ein Saharawanderer wäre froh, wenn er Leitungswasser trinken könnte.
Gemüse schmeckt oftmals nach nichts, aber wenn ich weiß, dass es gesund ist, dann esse ich es eben.
Obst kannst Du auch essen. Ich hatte früher Äpfel und Weintrauben gegessen. Da habe ich nicht von zugenommen, und satt wurde ich davon auch.
Es wäre sinnvoll, Deine Einstellung zum Essen zu ändern. Dann funktioniert das auch auf Dauer.
Früher hatte mir Spinat nicht geschmeckt. Heute kann ich es zumindest runterbekommen.

viele Grüße
Wolfram


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29.04.2017 16:53
#5
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Moderator

@Wolfram

Das ist schön, wenn du Essen runter kriegst, das neutral schmeckt, nach nichts. Ich kriege es auch runter, aber mehr auch nicht. Essen muss mir schmecken, sonst esse ich nichts. Da halte ich lieber Hunger aus, bis ich das essen darf, was ich mag. Wirklich, Hunger auszuhalten ist auch eine Frage der Übung. Da ja grundsätzlich Nahrung vorhanden ist, muss ich nicht immer oder überall essen, wenn mir mal der Magen knurrt. Es ist tatsächlich einfacher, Hunger auszuhalten, als etwas runterzuwürgen, das absolut nicht schmeckt. Wenn ich an manche Speisen kein Salz oder weniger dran tue, schmeckt es nicht mehr. Zum Beispiel Kartoffeln. Wenn ich die nicht so salzen darf, esse ich eben keine, besser als Pappe zwischen den Zähnen. Eier esse ich nicht. Mein erster Freund hat ein Ei zum Frühstück gegessen, da habe ich mitgemacht, es musste genau 3 Minuten gekocht sein, nicht eine Sekunde länger oder kürzer, er hat sich sogar in der Pension mal beschwert, mir war das total peinlich. Weil er abends auch Würstchen aß, habe ich auch mitgemacht, und da habe ich natürlich unheimlich zugenommen.

Tomaten esse ich auch nicht, weil die so nicht schmecken, nur in Soße oder Ketchup. Wenn ich essen könnte, was mir nicht schmeckt, dann wahrscheinlich nicht oft, und ich würde es nicht durchhalten, jeden Tag nur geschmacksneutrales Essen runter zu schlingen, ich könnte es nicht genießen und kann darum auch keine Ernährungsumstellung auf Dauer einhalten. Äpfel und Weintrauben machen dick, die Weintrauben haben viel Traubenzucker und Äpfel machen mich hungrig. Klar ich darf, aber Weintrauben darf ich nicht wegen dem Zucker, und Äpfel kann ich nicht, weil die hungrig machen, das ist kontraproduktiv. Birnen ess ich aber, Kiwis ess ich auch, die haben nicht so viel Fruchtzucker und schmecken gut, was gut ist: Ich mag auch keinen Kuchen. Vielleicht, weil er einfach nur süß ist und ansonsten geschmacksneutral bis auf den Zucker da drin.

Was ich als Kind nie mochte, mag ich heute auch nicht. Spinat gehört nicht dazu, den hab ich als Kind gemocht. Was meine Mutter kochen konnte oder braten, weil sie es in salzhaltige Panade gelegt hat, mochte ich. Das meiste konnte sie nun mal nicht kochen, wenn es auf Gewürze ankam. Wenn es Möhrensalat gab, war ich immer begeistert, rohe Karotten mag ich beispielsweise. Salat ist geschmacksneutral, daran schmeckt nur das Dressing, ich war Zitronensaft gewohnt, anderes gab es nicht. Das müsste ich wieder mit Süßstoff süßen, also verzichte ich auch auf Salat.

Ich hab ja schon geschrieben, die Leute, die das Essen runter kriegen, denen es nur wichtig ist, satt zu sein, und nicht auf den Genuss Wert legen, die schaffen es, abzunehmen. Wer das Essen genießen will und sogar Hunger auf sich nimmt, um nichts runter würgen zu müssen, der kann sich nicht angewöhnen, den Hunger zu stillen auf Kosten des Geschmacks.

Viele Grüsse
Draculara

http://www.draculara.de

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Eine Lösung setzt ein Problem voraus. Ich kenne meine Fehler, das hält mich aber nicht davon ab, sie zu machen

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