Zwischen Scham und Liebe...

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03.07.2014 10:33
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#6
Gast
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Herzlich Willkommen hier im Forum :)

Auch dir kann ich nur - als selbst Angehörige - nur empfehlen, deine Mutter losgelöst von ihrem "Messie-Ding" zu betrachten, und den Fokus auf die positiven Aspekte ihrer Persönlichkeit zu richten. Ich lese heraus, dass deine Mutter fast ausschließlich zuhause sitzt, inmitten von ihrem Krempel, und der ist inzwischen natürlich längst zur Normalität verkommen. Daher kann es hilfreich sein, sie zumindest zeitweise dort heraus zu bringen, und Dinge mit ihr zu machen, die sie schon gar nicht mehr gewohnt ist, die der Seele gut tun. Spaziergänge, oder vielleicht sogar mal ein Tagesausflug, ein Konzert oder Theateraufführung, Kino, Essen gehen, Kaffee trinken, irgendwas, das sie schon lange nicht mehr gemacht hat. So lange, dass sie vergessen hat, wie gut das tut, und wie schön es ist, das mit jemandem gemeinsam zu erleben, der einem wichtig ist.


Deine Worte geben mir zu denken. Ich kann nur mutmaßen, aber es klingt für mich so, als hättest du ein weitaus größeres Problem mit mit dem Problem deiner Mutter, als sie selbst. Wenn du so aufwachsen musstest, so kann ich mir gut vorstellen, lauert da noch eine Menge verkappter Groll und Frust, und insgeheim vielleicht sogar Vorwürfe und Schuldzuweisungen.
Besonders erschreckt hat mich der Satz "Wie könnte ich meine Mutter verteidigen, schließlich hätten die Leute ja Recht". Nur mal angenommen, deine Mutter hätte eine schwere körperliche Erkrankung, zum Beispiel Krebs, und sie könnte deshalb nicht aufräumen. Würdest du nicht jedem ins Gesicht hüpfen, der sie deshalb auslacht oder über sie den Kopf schüttelt? Natürlich, weil es kaum etwas Niederträchtigeres gibt, als auf jemandem herumzuhacken, dessen Leben aus den Fugen geraten ist, weil er krank ist. Nun, deine Mutter hat gottseidank keinen Krebs. Aber krank ist sie trotzdem.
So verrückt es klingt, aber das Aufbewahren der vielen Papiere ist ein (in die Irre geleiteter) Versuch, die Kontrolle wieder zurück zu erlangen. Deshalb tickt sie auch so aus, wenn man versucht, ihr da reinzufunken. Sich immer wieder zu bemühen, Ordnung in ihr Leben zu bringen (und ihr damit auch Kontrolle von außen aufzuerlegen) führt zum Gegenteil, zu Rückzug, Abwehr, Wut und Tränen. Du schriebst "Als ich ihr bei unserer letzten Begegnung klar und deutlich gesagt habe, dass ihr Verhalten ihr ganzes Leben ruiniert, ist sie - natürlich - erst einmal sehr sehr wütend geworden, hat mich angeschrien und Beschuldigungen ausgesprochen."

Das Wörtchen "natürlich" lässt mich die Stirn runzeln. Wenn du doch schon weißt und wusstest, wie sie reagiert, warum wiederholst du diese Art von sinnlosem Gesprächskreislauf? Wenn es beim 371. Mal nichts gebracht hat, wird es auch beim 372. Mal nichts bringen, außer, dass sich hinterher wieder alle Beteiligten elend fühlen.

Ein bisschen widersprüchlich finde ich deine Aussage, dass du sie einerseits nicht vor anderen verteidigen könntest, andererseits verteidigst du sie vor uns - ungefragt, denn wir haben sie ja gar nicht angegriffen. Versteh mich bitte nicht falsch, nichts von dem, was ich hier schreibe, soll dich in irgendeiner Form angreifen oder gar ärgern, ich weise nur auf Dinge hin, die mir in deinem Text, deinen Gedanken, auffallen, und wo ich meine, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, wie du selbst die Situation verändern könntest, indem du dein eigenes Verhalten, deine innere Einstellung ihr Gegenüber verändern kannst. Wir sind alle miteinander verbunden, wie mit unsichtbaren Fäden. Wenn du straff ziehst, leistet sie Widerstand, um nicht weggerissen zu werden. Wenn du locker lässt, kann sie vielleicht auch locker lassen, und so weiter. Wir beeinflussen uns in unserem Verhalten - aktiv wie passiv - immer gegenseitig. Also, auch etwas zu lassen, das man vorher immer gemacht hat, kann eine Änderung bewirken. Manchmal sogar mehr als eifrige Aktivität.

"Beschuldigungen ausgesprochen. Gegen mich, gegen meinen Vater, gegen ihre eigene Mutter. Man muss dazu sagen, das sind nicht bloß Ausflüchte ihrerseits. Sie hat im Leben wahrlich viel kämpfen und dabei viel einstecken müssen"
Da wir dich nicht aufgefordert haben, das Verhalten deiner Mutter zu rechtfertigen oder zu erklären, mutmaße ich, dass du das in erster Linie vor dir selbst rechtfertigst und erklärst. Nichts, was ein Kind seiner Mutter antun kann, rechtfertigt, dass die Mutter dem Kind Vorwürfe macht. Eltern müssen die Fehler ihrer Kinder bei sich selbst suchen, denn sie haben die Kinder zu dem geformt, was sie sind. Das ist das eine. Und das andere ist, dass ich persönlich der Meinung bin, dass man irgendwann einen Strich unter das Gestern setzen muss. Da mögen furchtbare Eltern gewesen sein, und schreckliche Ehegatten, Terror und Kummer und Elend. Aber heute ist heute, und ich tue mich schwer damit, zu akzeptieren, dass jemand sein Geschirr nicht abspült, oder sich nicht unter den Achseln wäscht, weil er ein Schlüsselkind war, oder in der Schule gehänselt wurde (ums mal ein bisschen polemisch auszudrücken). Genauer gesagt, tue ich mich nicht schwer damit, zu akzeptieren, dass das passieren kann. Aber ich tue mich schwer damit, wenn sich jemand hinter solchen Erklärungen versteckt. Und das scheint deine Mutter zu tun. Es ist bequem, nicht an der verkorksten Gegenwart zu arbeiten, wenn man Ereignisse der Vergangenheit als Gründe vorschiebt - oder die Fehler der anderen - um nicht JETZT etwas aufzuheben und in den Mülleimer zu werfen.

Mein Fazit wäre, dass du, bevor du für deine Mutter eine echte Hilfe sein kannst, in dich gehen und über dich und deine persönliche Einstellung reflektieren solltest. Vielleicht habe ich mit allem, was ich nun hier gesagt habe, vorbei geschossen, vielleicht mit ein paar Dingen ins Schwarze getroffen. Letztlich können es nur Anregungen sein, in welche Richtung du denken solltest/könntest. An welchen Stellen nimmst du sie aus den falschen Gründen in Schutz, an welchen Stellen nimmst du sie (vor anderen oder dir selbst) vielleicht nicht genug in Schutz? Versuche, das Messiesein nicht als (gesellschaftlich nicht tolerierte) Verwahrlosung zu sehen, sondern als Krankheit, und die Wohnung als erweitertem Körper sozusagen, in dem sie lebt. Und versuche, sie mal wieder von ihrem Messiedasein losgelöst zu betrachten - auch und gerade, indem ihr euch konkret daraus loslöst, und gemeinsam etwas unternehmt, bei dem ihr den Krempel in der Wohnung zurücklasst.
Schlussendlich wird es für dich unerheblich werden, ob es deine Mutter schafft, das Messiesein zu überwinden oder nicht. Was zählt, ist dass sie deine Mutter ist, dass ihr euch lieb habt, und jeder sein eigenes Leben lebt - jeder so, wie er es für richtig hält. Und dass du dann für sie da bist, wenn - falls - sie sich irgendwann dazu entscheidet, dass sie die Sachen nun loswerden will.


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