Kontrolle???

19.11.2014 10:42
avatar  Sabine
#1
Sa

Hallo alle zusammen,
ich bin neu hier im Forum. Und lese mich gerade ins Thema Messie ein.
Vor drei Monaten hat mich meine Freundin um Hilfe gebeten. Sie muss aus ihrer Wohnung raus, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen kann. Ich war seit 15 Jahren nicht mehr in ihrer Wohnung…
Seit drei Monaten sortieren wir nun die Wohnung. Über 200 Müllsäcke haben wir bereits entsorgt. Eine neue günstigere Wohnung gefunden und renoviert. Kisten gepackt und viel aussortiert. Meine Freundin ist hoch motiviert. „In der neuen Wohnung wird es besser, da räume ich auf“. Ich weiß, dass es nicht so sein wird…
Wir haben besprochen, dass ich in der neuen Wohnung einmal die Woche zum Frühstück rum komme und ich „Kontrolle“ machen soll.
Ich weiß nicht, ob dass der Richtige Weg ist.
Wir verbinden unsere Arbeit immer mit etwas schönen. Gehen Essen, Frühstücken zusammen, Unterhalten uns eine Stunde über Bücher oder gehen spazieren. Wir setzten uns ein Ziel, das wir erledigen. Beispiel heute machen wir die Arbeitsplatte sichtbar oder heute wollen wir den Badezimmerboden frei machen. Wollen doch mal sehen ob der noch Wischwasser verträgt. Wir albern rum und arbeiten Hand in Hand.
Aufgefallen ist mir, das sie selbst keine Prioritäten setzten kann. Nach Anweisung arbeitet sie ohne Pause und super. Auf der Arbeit hat sie eine Leitende Position doch zu Hause herrscht das Chaos.
Meint ihr das könnte klappen? Mit unserem Plan, ich mache „Kontrolle“? Ich möchte nicht dass unsere Freundschaft dadurch kaputt geht. Ich möchte nicht wie Mama Kontrolle machen, eher Unterstützend da sein. Eine Therapie kann ich nicht bezahlen sagt sie. Kostet das wirklich was? Welche Wege müsste man da gehen?
Danke fürs Lesen


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19.11.2014 11:55
avatar  ( gelöscht )
#2
Gast
( gelöscht )

Hallo Sabine,

herzlich willkommen hier im Forum.
Zuerst einmal möchte ich sagen, wie unglaublich toll ich es finde, wie du dich deiner Freundin angenommen hast. Ich wette, viele hier wünschen sich gerade, eine Freundin wie dich zu kennen, die unterstützt, statt zu verurteilen, die aufbaut, statt niederzumachen, und - offenbar ganz instinktiv - die richtigen Saiten bei ihrer Freundin zum Klingen bringt.

Trotz aller positiven Entwicklung hast du ein Recht auf eine gewisse Distanz, und du hast auch ein Recht darauf, dass eure Freundschaft eine Freundschaft bleibt, und kein Mutti-Tochter- oder wie-auch-immer-Verhältnis wird.
Ich sehe ganz gute Chancen, dass euer Plan klappt, wenn es bisher so gut läuft, und das auch ihre eigene Idee war. Aber (großes Aber) ich bin mir nicht sicher, ob das eure Freundschaft nicht tatsächlich beeinträchtigen könnte. Was wäre zum Beispiel, wenn sie basierend auf dieser Kontrolle gut "funktioniert", und deshalb nach einer Weile meint, dass sie jetzt ohne deine Unterstützung zurecht kommt - und dich wegstößt? Was wäre, wenn sie dann wieder in alte Gewohnheiten zurückfällt, und - noch einen Schritt weiter - wenn sie dann irgendwann merkt, dass sie es doch nicht geschafft hat? Wie du vermutlich schon gelesen hast, und dir wahrscheinlich dank deines großen Einfühlungsvermögen selbst denken kannst, spielt Scham in den Köpfen vieler Messies eine sehr zentrale Rolle. Wird die Scham sie überwältigen, so dass sie sich in solch einem Fall auch dir gegenüber nicht mehr outen kann?
Ich denke, die erste, simpelste Lösung, eine Antwort auf solche Fragen zu finden, ist offen darüber zu reden. Und wenn ihr es versuchen wollt, dann eine genaue Vereinbarung zu treffen, wie weit die Kontrolle gehen soll, unter welchen Voraussetzungen sie beendet werden kann, und wie ihr miteinander umgehen wollt, wenn es danach (oder auch im Verlauf der Kontrollphase) nicht klappen sollte.
Eine andere Möglichkeit wäre, diese Phase den Profis zu überlassen. Ich weiß nicht, inwiefern ihr eine Dokumentation der Zustände gemacht habt, oder ob sich das jetzt noch teilweise (durch Fotos) belegen lässt. Ihr braucht jedenfalls etwas, um den Profis zu beweisen, dass sie Unterstützung nötig hat. Ich meine, eine blitzsaubere, geleckte Wohnung zu präsentieren und zu sagen "Ich bin ein Messie und brauche Hilfe" kommt natürlich nicht so überzeugend. Die ersten Ansprechpartner, die ich dafür empfehlen würde, das wäre die Caritas. Wenn die Wohnung bereits in einem Zustand ist, auf dem man aufbauen kann, wäre vielleicht eine Kombination aus "Kontrolle" und Haushalts-Organisations-Training (H.O.T.) etwas für deine Freundin. Auch ehrenamtliche Unterstützung ist denkbar.
Die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, mag nicht jedem in die Wiege gelegt worden sein, und manchmal läuft etwas aus anderen Gründen schief. Man kann (wieder) lernen, Prioritätensetzung aus anderen Bereichen (hier: Arbeit) auf den privaten Bereich zu übertragen. Das ist sogar verhältnismäßig einfach, da in Haushalten wenig Unvorhergesehenes passiert. Es sind eben immer wieder die gleichen Arbeiten: Einkaufen, Wäsche waschen, Klo putzen, Boden wischen...die sich in einem gewissen Rhythmus wiederholen. Wenn man den Rhythmus einhält, ist sogar wenig bis keine Prioritätensetzung notwendig, da nichts mehr so weit außer Kontrolle gerät, dass man unter den Druck kommt, das eine vorrangig vor dem anderen bewältigen zu müssen.

Der letzte Aspekt: Die Bezahlbarkeit einer Therapie. Ich bin irritiert - ist sie nicht krankenversichert? Es ist ja offensichtlich irgendwas passiert, das ihr erschwert, im privaten Bereich Prioritäten zu setzen. Aber da es im Job funktioniert, ist sie nicht "generell unfähig", sondern es ist mehr sowas wie eine Blockade, ein innerer Widerwillen, Weigerung, was auch immer - und genau das zu ergründen, dafür wäre ja eine Therapie sinnvoll. Den Ursachen für ihr Problem auf den Grund gehen. Denn - und das hast du genau richtig erkannt - das wahre Problem ist nicht mit der Müllbeseitigung gelöst. Das ist sogar eher der einfachere Teil, auch wenn es in Einzelfällen ein "gewaltiger, einfacher Teil" sein kann. Danach beginnt die Arbeit, herauszufinden, wie es dazu kommen konnte, und wie man den Fehler nicht wiederholt. In unserem Teufelskreis-Thread (in diesem Subforum weiter unten) sprechen wir über den großen Unterschied zwischen dem Unter- und dem Durchbrechen eines Teufelskreises. Ihr unterbrecht ihn gerade, und um ihn zu durchbrechen braucht es mehr als das bloße Wiederherstellen des Ursprungszustands.
Der Haken: "Messie" ist ein schwammiger Begriff, in Deutschland nicht anerkannt als eigenständige Erkrankung, sondern als Nebenaspekt anderer Erkrankungen, und entsprechend müssten die diagnostiziert und ggfs behandelt/therapiert werden. Zum Beispiel Depressionen, Burnout, Boreout, Borderline, Impulskontrollstörungen und viele andere Persönlichkeitsstörungen kommen in Frage, müssen aber nicht zwingend vorhanden oder stark ausgeprägt sein. Eine kognitive Verhaltenstherapie wird am häufigsten von Betroffenen als hilfreicher Ansatz empfunden.
Wenn sie sich (aus Gründen, die du nicht nachvollziehen oder hier nicht preisgeben kannst) absolut nicht einer Therapie unterziehen kann, fallen mir folgende Möglichkeiten ein:

- hier im Forum anmelden, lesen und evtl auch selbst Beiträge schreiben
- eine Selbsthilfegruppe suchen
- Passende Selbsthilfeliteratur verwenden
- bei der Caritas oder einer lokalen Freiwilligen-Organisation nach Unterstützung fragen
- über einen Krankenkassenwechsel nachdenken

Ich wiederhole mich, ich finde es toll, dass du deine Freundin so großartig unterstützt! Aber es fühlt sich für mich nicht richtig an, dass du jetzt als Nicht-Fachkraft mit der Aufgabe allein da stehen sollst, deiner Freundin dauerhaft und auf unbestimmte Zeit ein "normales" Leben zu ermöglichen. Dass du davor zurückschreckst, macht dich nicht zu einem schlechten Menschen, sondern ganz einfach nur zu einem normalen Menschen.


http://psychcentral.com/lib/10-things-you-should-know-about-compulsive-hoarding/0006787


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19.11.2014 13:46
#3
Ta

Numi, das kann ich voll unterschreiben.
Bei mir vollzieht sich gerade eine Art Wende.......ich habe mich - vielleicht wegen der usichtbaren kognitiven Einschränkung - immer wieder auf die
Unterstützung von Menschen verlassen, wo ich es gut fand.........das führte nicht nur zur Überlastung von Beziehungen,sondern auch dazu,
dass ich keine Notwendigkeit sah, mich selber in meinen Stärken und Schwächen realistisch einschätzen zu lernen und zu erkennen,
was ich für ein gutes Leben brauche. Klar gab es Warnungen und Mahnungen zuhauf, doch dieses fühlte sich immer wie eine Einmischung an.
Nun sehe ich es so, dass alles, was geschehen ist, geschehen musste. Erst als neulich meine Nachbarin durch gemeinsame Arbeit mir deutlich
vor Augen führte, dass ich mehr Kraft habe, als ich von mir selber gedacht habe, konnte ich nach und nach verstehen, mit welcher Strategie
ich vorankommen kann, ohne ständig angst zu haben, ich kippe aus den Latschen. Ich rutsche natürlich immer mal wieder ab in alte Gewohnheiten
oder Empfindungen von Angst oder Unsicherheit, doch die Erinnerung , gestern hast du das und das und das geschafft, hilft mir,
Schmerzen und Schwierigkeiten nicht zu wichtig zu nehmen. Ich bemühe mich auch, mir zu verzeihen, dass ich in der Jugend falsch gestartet bin
und mein Gottvertrauen lange nicht besonders gross war. So und nun geht es langsam vorwärts. Zwar habe ich so wie jene Sbine ihre Freundin
auch das Bedürfnis, regelmässig mit wem zu sprechen über meine Ordnungsprobleme, aber da jeder sein Päckchen zu tragen hat, geht das
eigentlich nicht. Wenn ich erwachsen sein und normal sein will, also erst Mensch und dann behindert, muss ich mit meinem persönlichen Lebensbereich
schon selber fertig werden. Nochmal lasse ich nicht zu, dass wegen der Unordnung eine Beziehung kaputt geht. Davon abgesehen, genau darum habe ich
ja schon mehrere Jahre sehr selten Besuch.
Grüssele Mausohr


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