ratlos und allein im Chaos

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16.10.2013 22:47 (zuletzt bearbeitet: 16.10.2013 22:47)
#26
Ta

Hallo Single, das kann ich gut verstehen, wenn man bei Tage ständig beruflich Rede und Antwort zu stehen hat, dass man dann mal seine Ruhe braucht.
Aber andererseits ist es meine Erfahrung, dass, wenn man nix tut, die vordergründige Angst zuviel Kraft raubt. Du brauchst doch auch Energie, um für Deine
Lebensfreude zu sorgen.........ich bet für Dich, dass sich Wege öffnen. Ich weiss, dass ist ein langer Weg, den ja selbst ich nur in kleinsten Schritten gehen kann.
Aber wenn man erstmal die Angst los werden konnte, ist alles schon leichter. Hast Du sonst noch Angehörige,Eltern,Geschwister, gute Freundin, Lebensgefährte ?

Grüssele und gute Nacht Mausohr


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18.10.2013 00:39
avatar  Kayla
#27
Ka

Hallo Single!
Sagen wir mal. Es gibt in meinem aller-, allerengsten Umfeld einen Menschen, der unter einer schweren Soziophobie leidet. Ich bin seine einzige echte Bezugsperson, Kollegen kommen privat nicht an ihn ran, Nachbarn und Exklassenkameraden, selbst die Familie, nerven ihn nur und es ist unglaublich anstrengend für ihn, auch nur mit einem Unbekannten (Amt) ein Telefongespräch zu führen, von realen Gesprächen gar nicht zu reden. Auch meine Bekannten dürfen ihm nach Möglichkeit nicht über den Weg laufen, wenn er bei mir ist, sonst krieg ich ihn den ganzen Tag aus dem Schlafzimmer nicht raus, bis sie wieder weg sind.
Trotzdem habe ich, wenn auch als einzige, Kontakt zu ihm, weiß, dass hinter der Phobie ein sensibler, intelligenter und durchaus auch fröhlicher Mensch steckt.
Es gibt viele Gründe für so ein Problem (lassen wir jetzt Unordnung ruhig mal weg). Ich weiß, dass es daraus resultieren kann, das "ungeliebte" Kind gewesen zu sein, ständig erfahren zu haben, dass man überflüssig, ungewollt, nix wert ist. Mir sind auch Fälle bekannt, wo die Soziophobie aus einem anderen (gar nicht so seltenen) psychischen Problem entsteht, nämlich einer Kommunikationsschwäche. Dabei tritt oft im Gespräch eine Wortfindungsaphasie auf, d.h. einem fallen auf einmal die Worte nicht mehr ein, man weiß nicht mehr, wie man sich ausdrücken soll, obwohl man den Wortschatz, die Intelligenz und die prinzipielle Fähigkeit sich aus zu drücken durchaus besitzt. Das man sich dann selbst unter Druck setzt und antworten "will" verstärkt sich das Problem von selbst, es "schaukelt sich hoch".
Nun, ich sagte, dass einer der Menschen, die mir am allernächsten stehen betroffen ist und er ist kein Verwandter. Es ist also wirklich kein "Alleinbleiburteil", unter diesem Problem zu leiden und sich einer professionellen Behandlung zu entziehen, denn auch wir haben uns ja mal kennengelernt und irgendwie müssen wir ja von beiden Seiten die Schwelle genommen haben.
Dazu brauchte es von seiner Seite nur eins und die Fähigkeit hat er sich erarbeitet. Die prinzipielle Bereitschaft, zu glauben, dass es jemanden geben kann, der tatsächlich Interesse an ihm hat, so wie er ist, mit all seinen Problemen.
Von meiner Seite her bedeutete es Geduld, Geduld, Geduld, zuhören, auf ihn eingehen und wieder Geduld. Dazu gehörte die Bereitschaft, mich gegen Veretzungen zu wappnen und mir immer wieder, so schwer es auch war, vor Augen zu halten, dass sich seine Angriffe nicht gegen mich richteten. Z.B., mal ehrlich, wer käme so ohne Weiteres damit klar, dass man einen Freund vor Dritten nicht mir Vornamen ansprechen darf? Er duldet das aber nicht, hat panische Angst davor, etwas von sich preis zu geben, seis sein Alter, sein Name, sein Geburtstag - nichts. Jeder, noch so winzige, Ausrutscher von meiner Seite führt auch heute noch zu schlimmen Verstimmungen.
Selbst von meinen Kindern kennt nur ein einziger mehr von ihm als Vorname und Alter.
Wie man sich das antun kann? Er ist ein wundervoller, ehrlicher und lieber Mensch, eine echte Bereicherung meines Lebens. Und das ist den Preis wert.
Aber Single, wie ich bereits sagte. Eins hatte er Dir voraus. Er hat niemals gedacht, ich wolle ihn aushorchen, hat niemals gedacht, er sei für mich nur eine "Trophäe", die ich haben will, weil sie so schwer zu bekommen ist oder ich heuchle nur Interesse, um ihn dann bloß zu stellen. Er hat mir sehr viel Vorschussvertrauen entgegengebracht.
Diese Bereitschaft muss dazu da sein, dann findet man auch jemanden, der zu einem hält und von dem man sich weder genervt noch überfordert fühlt.
Leise lach, wenn ich ihm allerdings heute erzähle, dass es für mich schon ein wenig belustigend ist, dass ich bekommen habe, worum sich viele andere drängeln (denn es gibt durchaus viele Menschen, die gern mehr Kontakt zu ihm hätten) dann kann er das durchaus richtig einordnen und lacht auch darüber. Auch das war nicht immer so. Früher hat er gar nicht wahr genommen, dass sich jemand um ihn bemüht, wenn der andere es auf die falsche Art und Weise getan hat. Allein ein verbaler Schritt in seinen Egoraum, eine zu persönliche Frage (und bei ihm ist fast jede Frage zu persönlich) führt bei ihm zu einer sofortigen Fluchtreaktion.
Erklär Dich also nicht ganz so schnell zum Einsiedler. Lass dir zumindest die Option offen, jemand könne hinter all Deinen Problemen trotzdem den interessanten, lieben Menschen erkennen, der du bist und mit offenem Visier auf Dich zugehen. Es würde sicher keine konventionelle Beziehung oder Freundschaft, aber wir sind erwachsen und uns ist (hoffentlich) klar, dass wir uns nicht nach anderen richten müssen. Wir können unseren Umgang mit anderen, exakt so ausgestalten, wie es für uns allein richtig ist, so lange wir das anderen auch zugestehen.
Übrigens, auch wenn es sehr lange gedauert hat, aber es gibt dennoch kleine Fortschritte. Das geht damit los, dass wir heute ehrlich streiten können, ohne, dass ich mir jedes Wort überlegen muss und er auf jedes Krümel draufhupft und eine Beleidigung, Lüge oder Verletzung dahinter wittert und wir schaffen es inzwischen sogar, mal zusammen ins Kino zu gehen, obwohl da viele andere fremde Menschen sind.
Und selbst Überraschungsbesuche meiner Kinder, wenn wir gerade in der Stube sitzen, treiben ihn nicht mehr gleich zurück in die Verbannung, auch wenn er dann meist sehr schweigsam in einer Ecke sitzt und alles auf sich runterregnen lässt. Früher wäre er dem aber sofort aus dem Weg gegangen.
Alles andere wird sich auch noch, zumindest ein wenig, normalisieren, auch wenn mir klar ist, dass es nie völlig "Routine" wird und es unglaublich viel Zeit kosten wird. Der Weg ist das Ziel ... darüber sprachen wir ja schon. Ich genieße die Zeit mit ihm und bin dankbar dafür, dass ich ihn kennen darf. Jede Vereinfachung und Verbesserung ist nur ein zusätzliches kleine Geschenk.

Kay :-)

Ordnung ist etwas Künstliches. Das Natürliche ist das Chaos. (Arthur Schnitzler)


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18.10.2013 21:00
#28
si

Hallo Kay,
eine einzige Freundin würde auch mir reichen. Es freut mich für euch wenn es so gut passt.


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19.10.2013 13:14
avatar  Kayla
#29
Ka

Single, Du hast nicht ganz verstanden, was ich Dir sagen wollte *lächelt. Es hat nie gepasst nicht mal ein Bisschen. Wir haben es passend gemacht uns gezwungen, jeden Tag die Frage zu sellen, ob es uns der Andere noch wert ist, immer wieder neu einander vertrauen zu lernen, neue Wege und Lösungen zu finden, um uns nicht zu verlieren.
Ich wollte damit sagen, man kann auch Dinge, die unerreichbar, ja, unmöglich erscheinen, erreichen, indem man einfach mal alles vergisst, was man im Leben erfahren und gelernt hat, wie etwas zu "sein" hat.
Es gibt da ein Beispiel, das ich gern zitiere. Man zerdrückt Kartoffeln nicht mit der Gabel. Eine goldene Regel für Essen in der Öffentlichkeit. Warum? Weil früher das Besteck nicht rostfrei war und zwischen den Zinken der Gabel selbst in ordentlichsten Haushalten oft Rostrückstände waren.
Unsere heutigen Gabeln rosten nicht mehr und doch zerdrückt man bei offiziellen Essen die Kartoffeln nicht. Da haben Tradition und Gewohnheit den Sinn überlebt. Ähnlich interessant wirds, wenn man sich mal informiert, warum es eigentlich keine Enteneier zu kaufen gibt (die sind richtig lecker).
Und in unserer Zeit haben auch sehr viele zwischenmenschliche "Regeln" ihren Sinn verloren. Wir müssen nicht mehr zwanghaft zusammenziehen, weils keine Wohnungen gibt, der Mann muss nicht älter und gutsituiert sein, weil man davon als Frau nicht mehr abhängig ist etc.. Das ließe sich beliebig erweitern. Es gibt weder eine feste Definition für Freundschaft noch eine für Beziehung. Ein Mensch braucht sehr viel Nähe, der andere ist eher distanziert, manche kuscheln gern im Bett, andere schlafen lieber für sich allein. Und das Gute daran ist - all das geht keinen etwas an, nur die Betreffenden selbst.
Also gib Dir und Deinem Umfeld eine Chance. Versuch nicht, die graue Maus zu sein, die möglichst überall durchuscht und sich irgendwie zurechtwurschtelt, sondern tu einfach das, was Du wirklich möchtest und halte dabei die Augen auf, ob nicht doch jemand Dein Leben berührt, der Dich versteht und vielleicht nicht trotz, sondern wegen Deiner Besonderheiten mag. Wenn Du Dem Singlechaos Deiner Forenbeiträge im realen Leben ähnlich bist, nehme ich ganz stark an, dass es gar nicht so schwierig ist, auch eine Menge Liebenswertes und Nettes an Dir zu finden.

Alles Liebe
Kay

Ordnung ist etwas Künstliches. Das Natürliche ist das Chaos. (Arthur Schnitzler)


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19.10.2013 17:41
#30
si

[quote="Kayla"|p1861]
tu einfach das, was Du wirklich möchtest
[/quote]

Es klingt gut und sogar recht einfach- solange man es nur liest, lächel.
Es vergeht kaum ein Tag wo ich es nicht versuchen wollte, der Wille ist da und der Druck der Einsamkeit. Solche Themen wie Messie und Einsamkeit eignen sich natürlich nicht zum Smalltalk, ich müsste also mit Lügen starten selbst wenn ich auf Andere zugehe, ein Teufelskreis.


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