Vogelfreies Chaos

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14.04.2014 20:28
#1
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Hallo, ihr Lieben! :)

Ich konnte mich heute endlich dazu entschließen, mich hier anzumelden.
Ich bin 20 Jahre jung und habe schon mein Leben lang mit psychischen Problemen zu kämpfen. Das Messie-Problem nahm ich lange gar nicht als solches wahr. Direkt an meinem 18. Geburtstag zog ich fluchtartig von Zuhause aus. In dem kleinen Zimmer, das ich nun bewohnte, herrschte stets ein großes Chaos. Ich hatte damals keine Freunde, die mich hätten besuchen können und war auch sonst sehr depressiv. Meine Gedanken zu der Unordnung waren in etwa: "Ach, das bisschen Müll, das ist doch nicht so wild!" - Es war mir einfach egal.
Schwieriger wurde es, als ich ein paar Tage lang unentschuldigt auf der Arbeit fehlte - meine Chefin begann, sich Sorgen zu machen. Da ich auf Anrufe etc. nicht reagierte, sprach sie in der Angst, ich hätte mir etwas angetan,. mit dem Hausmeister, der dann meine Zimmertür öffnete, während ich noch im Bett lag und schlief.
Die Reaktion von Hausmeister und Chefin überzeugte mich dann davon, dass das mit der Unordnung wohl nicht mehr ganz so normal war. Ändern tat ich trotzdem nichts. Mir fehlte einfach die Kraft. Und wozu sollte ich auch aufräumen? Kam doch eh niemand vorbei! Und nur für mich allein Ordnung zu schaffen, war ich mir nicht wert.

Nachdem ich aufgrund meiner psychischen Krankheiten für meine damaligen Lebensabschnittsgefährtin nicht mehr tragbar war und sie sich von mir getrennt hatte, brach ich völlig zusammen. Ich sah ein, dass ich nicht in der Lage war, allein zu wohnen. Die Ausbildung brach ich Hals über Kopf ab und zog zu einer Bekannten, die gerade ein WG-Zimmer zu vermieten hatte. Die Arme! In meinem kranken Kopf dachte ich mir, sie würde mir helfen, in ihr und ihrem Freund sah ich eine Art "Elternersatz".
Gott sei Dank merkte meine Bekannte recht schnell, dass ich "nicht ganz normal" war. Ich hatte starke Schwierigkeiten damit, Ordnung zu halten und vermüllte einfach alles. Außerdem bekam ich Panik, wenn sie Besuch hatte und verließ dann mein Zimmer einfach nicht mehr oder bekam Heulkrämpfe, wenn sie an der Tür klopfte.
Noch während des einmonatigen Probewohnens zog sie einen Schlussstrich und setzte mich vor die Tür. Gut für sie!

Für mich eher weniger. Ich wusste nicht, wohin und ging erstmal zu einem Freund in eine gut 500km entfernte Großstadt. Eigentlich nur für ein paar Tage, als Übergangslösung - ich blieb dann ein Jahr, denn aus ihm und mir war ein Paar geworden.
Ende 2012 fand er dann einen Arbeitsplatz an der Ostsee und wir suchten uns hier zusammen eine Wohnung. Natürlich war ihm mein "Ordnungsproblem" schon aufgefallen, aber er liebte mich nun mal und nahm mir mein "Ich werde mich ganz sicher ändern!" oder "Ich gebe ja mein Bestes!" immer wieder aufs Neue ab.
Ein halbes Jahr später hatte sich die Situation immer noch nicht geändert. Er hielt es nicht mehr aus, verließ mich und zog aus.
Danach vermüllte ich die Wohnung immer mehr. Die Küche war bald nicht mehr nutzbar, in der Spüle wohnten die Maden, im ehemaligen Schlafzimmer stapelte sich endlos Müll und Dreck.
Da ich allein die Wohnung nicht halten konnte (sie war zu groß & zu teuer und ich galt seit Abbruch der Ausbildung als arbeitsunfähig), musste ich ausziehen.
Ich fand ein WG-Zimmer bei Leuten, die von meinen Krankheiten nichts wussten.
Die Wohnungsübergabe war eine Katastrophe. Ich hatte es nicht geschafft, die Wohnung ordentlich zu machen oder mir Hilfe zu holen und so musste der Vermieter eine Firma damit beauftragen. Die Kosten, die dabei entstanden sind, waren immens, ich zahle sie in den nächsten Jahren ab.

In dem WG-Zimmer lebe ich jetzt seit einem halben Jahr. Natürlich hat meine Mitbewohnerin mittlerweile mitbekommen, dass bei mir was nicht ganz richtig ist. Wo ich war, hinterließ ich Chaos. Sie machte den Fehler, hinter mir herzuräumen, was das Ganze nicht besser machte.
Schließlich reichte es ihr und stellte mich vor die Wahl: Entweder, ich hole mir Hilfe oder sie schmeißt mich raus.

Also stehe ich auf der Warteliste für eine ambulante Betreuung und bin in Therapie und in einer Selbsthilfegruppe. Und jetzt in diesem Forum. Vermutlich ist das schon mal was.
Hoffe ich.


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14.04.2014 22:20 (zuletzt bearbeitet: 14.04.2014 22:23)
#2
Ta

Hallo Vogelfrei ! Herzlich willkommen in unserem Forum !
Es ist gut, dass Du beizeiten angefangen hast mit den ersten Schritten und nicht die Dinge verschleppst wie ich.
Einsicht ist stets der erste Schritt zur Besserung, aber ohne eigene Anstrengungen wird es nicht weitergehen.
Lies mal bei anderen die äteren Threads. Da findest Du vielleicht Anregungen, wie Deine nächsten Schritte aussehen könnten.
Ausserdem wäre gut, wenn Du Dir klar wirst, wo willst Du hin im Leben ? Was willst Du erreichen,was ist Dir für Dich wichtig, welchen Traum willst Du Dir erfüllen ?
Ich selber habe es damals (bin in den 50er Jahren) versäumt, solche Fragen zu stellen und die Antworten zu suchen. So bin ich - trotz allerliebsten Ehemann - in Chaos und Depression
abgerutscht, wo ich erst gaaanz langsam rauskam, als ich einsah, dass ich es mir wert war, selber was zu tun, damit es besser wird.
Mir wurde auch klar, Verluste gehören im Leben dazu. Das tut weh, aber irgendwann ist der Schmerz vorbei oder zumindest leiser geworden.

Soviel fürs erste. Grüssele Mausohr


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14.04.2014 23:17
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#3
Gast
( gelöscht )

Hallo Vogelfrei,

auch von mir ein herzliches Willkommen im Forum! :)

Ich glaube, dass "Ich bin nicht fürs allein leben geschaffen" oder so ähnlich ein Mythos ist. Natürlich sind wir Menschen soziale Wesen, und brauchen andere. Aber wir müssen auch lernen, unser eigenes Leben zu leben, für uns selbst Verantwortung zu übernehmen, uns selbst zu finden und zu festigen, bevor wir bereit sind, uns auf andere einzulassen. Manche bekommen den dafür nötigen Freiraum bereits im Elternhaus, andere genießen nicht dieses Privileg.
Ich persönlich vertrete die Meinung, dass jeder Mensch in seinem Leben zumindest für eine kleine Weile (vielleicht ein halbes Jahr bis Jahr) allein gelebt haben sollte, bevor er mit anderen zusammenzieht.
In deiner Geschichte springt ein roter Faden ins Auge, den du offensichtlich auch schon selbst erkannt hast: Du hast dich immer irgendwie an andere Menschen "dran gehängt", um nicht allein sein zu müssen. Letztlich hast du sie mit deinen Problemen belastet - und hängen lassen. Wenn ich nicht aus deinen Worten herauslesen würde, dass du dir dessen bewusst bist und dein Verhalten selbst inakzeptabel findest, würde ich dir das nicht so sagen. Aber ich glaube, dass du das verkraften kannst - und daraus nun vielleicht - hoffentlich - den nächsten konsequenten Schritt ableiten kannst, diesen Kreislauf zu durchbrechen, und dir das nächste Mal lieber eine eigene Wohnung zu suchen.

Allein leben hat genauso Vor- und Nachteile wie zu mehreren leben.
Was mir am Alleinsein gefiel, war, dass einerseits niemand in meiner Abwesenheit etwas in der Wohnung tat, was mich störte, und andererseits aber auch nichts ohne mein Zutun geschah. Am ersten Tag in meiner neuen Wohnung kaufte ich mir "Ragout Fin" von Dörffler, das hab ich schon als Kind unheimlich gern gegessen, aber das gabs nur ganz selten, weil es ziemlich teuer war - eine typische Silvester-Vorspeise, üblicherweise serviert in so einem Blätterteig-Törtchen, das ich gar nicht mochte. Ich aß das Ragout Fin am liebsten pur. Ich kaufte also diese Dose, und als ich abends nach Hause kam, machte ich als erstes meinen Vorratsschrank auf und freute mich darüber, dass die Dose noch immer genau so da stand, wie ich sie verlassen hatte.
Andererseits stand auch der Mülleimer genauso da wie morgens, und das schmutzige Geschirr und die dreckige Wäsche ebenfalls. Mir wurde bald klar, dass es ganz allein an mir lag, diese Dinge in Angriff zu nehmen. Erwachsen sein hieß nicht, dass einem niemand mehr etwas sagen kann, sondern, dass man die Dinge erledigt, ohne dass es einem jemand sagt. Ich finde, dass man erst dann bereit ist, mit einem anderen Menschen zusammenzuleben, wenn man gelernt hat, seine Dinge zu erledigen, ohne dass einem jemand sagt, was und wann man es tun muss. Sonst tauscht man nur die Eltern gegen Ersatzpersonen ein (also genau das, was du beschrieben hast). Eine gleichberechtigte Partnerschaft wird man so niemals eingehen können, sondern immer derjenige sein, der es braucht, vom anderen Anweisungen entgegen zu nehmen. Sollte man dann an den Punkt kommen, an dem man das nicht mehr will, steht man vor dem Problem: Was soll ich allein tun? Wie soll ich zurecht kommen?
Es gibt unzählige Menschen, die in unglücklichen Partnerschaften verharren, weil sie glauben, dass sie alleine untergehen würden. Weil sie die positiven Aspekte des Alleinseins nie kennen- und zu schätzen gelernt haben.

Ich kenne ein wunderschönes Wortspiel, das mir in solchen Momenten immer wieder einfällt: Alleinsein heißt auch All-Ein-Sein. Sich selbst genug sein, mit sich selbst im Einklang sein - das lernt man nur, wenn man das Alleinsein zulässt. Zumindest für eine Weile.


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14.04.2014 23:46
#4
Ta

numi, da hast Du voll und ganz recht und trotz 1R-Wohnung habe ich damals diesen Entwicklungsschritt nicht wirklich bewusst durchgemacht.
Sondern ich habe mich viel zu oft an andere irgendwie "drangehängt" und das ist bestimmt mit ein Grund, warum ich oft so unsicher wirke auf andere.
Das war mir jedoch damals nicht bewusst wie so vieles andere auch...........und heute muss ich ausbaden, was ich damals beim Start ins selbständige Leben
versäumt habe..............und kann nur Gott danken, dass daran nicht meine Ehe kaputt gegangen ist.........Grüssele Mausohr


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15.04.2014 12:44
#5
Me

Oh yes, die Zeilen von Numi haben mir auch zu denken gegeben.
Ich war noch NIE alleine!!! Ich habe lediglich eine oder zwei Nächte in meiner Wohnung alleine schlafen müssen, dann war der nächste Partner da.
Wäre ich alleine, würde ich garantiert absacken. Wozu aufräumen? Für MICH doch nicht!!!
Von daher bin ich schon froh, dass ich zumindest wegen meines Mannes nun aufräume. Das Horten passt ihm ganz und gar nicht, aber daran konnte er bisher nichts ändern. Das muss ich selbst machen.
LG Messiemaus


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