ANGST vor....

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25.08.2013 16:43
#21
Ta

Hallo Sonja !
Ja, also Dein Statement lässt bei mir eine neue Frage aufkommen zum Stichwort Helfersyndrom, wobei ich dieses Wort einmal genauer
unter die Lupe nehmen möchte. Dazu berichte ich aus meiner Lebenserfahrung :
Dazu gehört zum Beispiel die Erfahrung, dass leistungsgeminderte,behinderte Menschen sich der bewussten oder unbewussten Ablehnung durch
ihre Mitmenschen ausgesetzt sehen und daher vielfach infolge Ausgrenzung mal mehr, mal weniger schmerzhaft erleben, dass sie in eine gewisse
gesellschaftliche Isolation geraten. Dagegen anzukämpfen, erfordert neben Mut auch viel Kraft. Wirkliche Anerkennung erwerben sich nur jene
Typen, welche aufzufallen verstehen durch aussergewöhnliches Charisma und/oder aussergewöhnliche Leistungen, jedenfalls solche,
die man Menschen mit Behinderung nicht ohne weiteres zutraut. Vielfach wird ihre Angehörigen,von denen sie gepflegt werden, wenn es nötig ist, gleich mit ausgegrenzt.
Ich habe darüber vor vielen Jahren einmal mit einer Sozialarbeiterin gesprochen. Sie meinte, dass gesunde Menschen von sich aus zu unsereiner nicht nur aus Unsicherheit
Abstand halten und wenn überhaupt nur dieses Komische Mitleid im Sinne von "ach du armer Mensch" aufbringen. Dazu kommt noch, dass man sich untwerschwellig
aufgefordert sieht, sicgh mit Krankheit und möglichem Tod zu beschäftigen und dazu für sich selber eine Position zu finden. Der dritte Punkt ist dann der,
dass man sich fürchtet davor, dieser Mensch mit Behinderung könnte einen grenzenlos und distanzlos in Beschlag nehmen. Ein Gedanke, der durchaus nicht unberechtigt
ist. Daher besagt auch ein Witz unter Behinderten : schau an, da kommt das brave Krüppelchen, es ist leicht zu verwalten. Soll heissen, wenn man mit Behinderten verfahren kann, wie man will, sind sie beliebt.
Dies z rkennen,warfür mich einerseits ein mehrjähriger Prozess. Gleichzeitig spürte ich schmerzhaft deutlich, dass ich es fast unmöglich fand, einen Platz in der
normalen (Berufs)Welt zu erobern. Zumal mir der Erhalt der damals so genannten Invalidenrente bescheinigte, ich bin leistunsgemindert und somit für die Gesellschaft
nicht besonders wertvoll..........also musste ich zusehen, wo ich blieb. (Die Rente selber hat sich später zu Wendezeiten und der Deutschen Einheit allerdings als echter Segen und Gottesgeschenk erwiesen.) Bekanntlich ist der Mensch ein soziales Wesen und so dachte ich mir, ich möchte auch wo dazugehören. Doch was ich auch versuchte, bei den "Normalos" kam ich nicht zurecht. Selbst unter den Körperbehinderten erlebte ich Ausgrenzung, weil sie nicht immer auf meine Schwerhörigkeit eingegangen sind.
Als ich dann langsam anfing Fuss zu fassen in der Evangelischen Kirche über die Brücke der Diakonie - Kreisstelle und anderes, entwickelte ich langsam eine
Art Helfersyndrom. ich war zunehmen gern mit Behinderten zusammen und half gern, wo ich konnte. Gleichzeitig war das die Zeit der 6Jahre Stationshilfe in einem
kirchlichen Altersheim. Dort entdeckte ich mit der Zeit leider, dass so manche Gewohnheiten der Schwestern so gar nicht dem christlichen Lebensideal entsprachen.
Doch ich kriegte einfach nicht die Kurve dahin gehend, dass ich es verstand, meine Arbeit sogfältig und vor allem pünktlich zu machen und dennoch den Bewohnern
Zuwendung schenken. Das brachte mir auf die Dauer so einigen Ärger ein, der jedoch meistens eher atmosphärisch spürbar war, denn offen ausgetragen wurde.
Erst Jahre später habe ich begriffen, dass wir Gehörlosen vieles direkter ansprechen als Hörende. Gehörlose wiederum wissen oft nicht, wie sie mit dem
umgehen sollen, was Hörende ihnen scheinbar selbstverständlich "durch die Blume" sagen. Und wenn dann so ein Hörender merkt, dass "sein Blümchen" beim
anderen - Gehörlosen,Behinderten - aus irgendwelchen Gründen nicht ankommt und zu keiner Veränderung führt, reagiert der Hörende genervt und wendet sich ab.
Woher auch soll er wissen, dass es sich hier nicht um Ignoranz oder Arroganz handelt sondern um Nicht - Verstehen im kulturellen Kontext ? Er kennt das ja
nicht und kann es darum nicht nachvollziehen.
Das war nur ein Beispiel zur Erklärung dessen, was ich meine.
Je mehr Zeit ins Land ging, um so mehr fand ich mein Zuhause bei den Körperbehinderten im Diakonie - Kreis und bei den Lernbehinderten/Geistig Behinderten
im damaligen Reha - Club. Darüber hinaus besuchte ich auch Behinderte zuhause und gewöhnte mich schnell daran,ihnen dort unbekümmert und ohne Hemmungen
zur Hand zu gehen. Das machte mir grosse Freude, bis ich erstmals während eines Urlaubs mit dieser Gruppe an meine Grenzen kam. Die hatte ich zwar bereits im Altenheim erfahren, richtig bewusst geworden ist es mir erst dort. Zugleich hatte ich da schon meinen Mann zum Freund. Solange ich jung war, machte es mir nicht viel aus, dass
ich oft Todmüde war. Doch ohne es zu wissen, erlebte ich damals schon depressive Schübe,die ja auch schlauchen können. Dann zog ich mich tage/wochenlang zurück.
Heute weiss ich, dass sich bei mir damals insofern ein Helfersyndrom eingeschlichen hatte, weil ich mich dahinter verstecken konnte. Ich musste dann nicht soviel
mich um mich selber kümmern. Jetzt wo ich nachdenke, wird mir erst richtig bewusst, was der Abgang der besten Freundin noch bedeutet : ein "Sorgenkind" ist durch Flucht
aus der Umklammerung meiner Art von "erdrückender Fürsorge" ausgebrochen. Und das hat nicht nur bitter weh getan, sondern mich schwer erschüttert, wie ich heute weiss.
Gott sei Lob und Dank, dass ich statt zu zerbrechen, daran gewachsen bin, wenn es auch lange gedauert hat. Nun versuche ich beides gleich gut zu machen, die Sorge
um mich selbst und die Sorge um meinen Mann und meinen sonstigen Anhang. Da gibt es nun jede Menge zu lernen. Dank dieses Forums fällt es mir auch etwas leichter,
bei der Stange zu bleiben. Es ist schön, mit Euch über tiefe Fragen nachzudenken. Dankeschön ! Grüssele Mausohr


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25.08.2013 17:30
avatar  IBI
#22
IB
IBI

Hallo Mauseöhrchen,

danke für deinen langen Bericht.
An diese Seite hatte ich nicht gedacht, als ich meinen Satz formuliert habe, aber auch das gehört dazu. Danke fürs Zeigen, wie viele Aspekte in solch einer Aussage verborgen sein können.

Nun gut, ich weiss nicht, ob Jolly hier noch selber schreiben wird, ich denke, was das Thema Behinderung angeht, so kann er sich gut beteiligen.
Er wurde nicht damit geboren, doch krankheitsbedingt sitzt er meistens im Rollstuhl und will, so gut er kann, alles alleine bewältigen und lässt sich möglichst wenig helfen.
Und wenn ich ihn mal anrufe, dann ist er unterwegs oder auf dem sprung wohin. dieser mensch ist trotz Rollstuhl so gut wie nicht zu hause. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass er ein behindertengerechtes Auto hat und noch fahren kann.
ich finde, er sollte selber mitteilen, was ihm wichtig ist und wie er mit dieser Situation umgeht und in welcher form sie ihn belastet. ich weiss nicht, ob ihn der Rollstuhl oder die choatische Wohnung mehr belastet oder noch anderes...
hey jolly, ich hoffe, das was ich hier über dich schreibe ist nicht zu persönlich und du bist nicht sauer auf mich.


Das Phänomen "durch die Blume reden" denke ich, ist nicht ausschliesslich für Schwerhörige oder Gehörlose ein Thema.
Ich bin selbst eher direkt und ehrlich und nehme den kurzen und schmerzhaften weg. Die schweizer hingegen sind meister der "Blumensprache". Das braucht einiges an Erfahrung um die aussagen richtig zu interpretieren oder die nachfragen so zu formulieren, dass du die richtige Interpretation bekommst.
mein Chef war super im Marketing mit der dazugehörigen "Blumensprache" und hat mir meine abmahung anders verkauft als eine Abmahnung. ich bin leider auf die schönen worte hereingefallen und habe nicht die nonverbalen zeichen gesehen. das habe ich mehrmals nicht richtig wahrgenommen.

im der nonverbalen sprache müsstet ihr gehörlosen doch meister sein.
und dennoch lese ich, dass ihr ebenfalls so eure kommunikationsthemen habt.

ja, fürsorge kann auf andere erdrückend wirken oder wie klammern.
mir wurde in meiner Anfangszeit in der schweiz mehrfach gesagt, ich würde zu viel an meinem freund klammern.
doch was hätte ich tun können, wenn ich sonst keinen eigenen Freundeskreis habe.
inzwischen habe ich diesen Freundeskreis und ich finde, dass ich deutlich weniger klammere als zu beginn unserer Beziehung.

ich bin neugierig.
magst du uns berichten, wie du deine erholungstag erlebt hast, so ganz ohne teddyman und das Forum?

viele grüsse
sonja


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25.08.2013 18:13
#23
Ta

Sonja, Neugier,Dein Name ist weib ;-) Spass beiseite............es war ein Erlebnis ganz eigener Art. sowohl rein äusserlich als auch vom Herzen her.
Auf einmal hatte ich viel Zeit und war ganz ohne Verpflichtungen,herrlich ! Es hat mir auch rundum gut getan,nur war es um einen Tag zu kurz.
Also das Hotel allein war schon klasse,auch behindertengerecht. Da ich ursprünglich Teddymän mitnehmen wollte,habe ich ein solches Rollizimmer bekommen.
Die Tagung wurde ja abgesagt,doch ich hatte Hotel und Fahrkarte schon gebucht,also fuhr ich allein. Nach dem Einchecken war ich schwimmen,nach dem
Abebdbrot draussen spazieren und nächsten Tag nach dem Frühstück war ich im Stadtzentrum,musste aber pünktlich zurück zum Hotel,weil ich ein spezielles
Wannenbad gebucht hatte. Die Lavendel - Essenz habe ich wohl nicht vertragen.Daher habe ich Ausschlag bekommen,der juckt und der muss vom Arzt morgen beguckt werden.
Als wenn ich in die Brennessel gefallen bin. Nachmittag bin ich nochmal rausgegangen und am Abend nach dem essen war ich wieder schwimmen.
Nächsten tag wollte ich früh auch nochmal schwimmen,aber war noch zu. also packte ich die Sachen zusammen, trug alles in die Lobby und konnte es dann dort lassen,
bis ich los musste. Nah dem frühstück war ich noch mal am Marktplatz, denn da war eine grosse Veranstaltung über den ganzen Tag : Behindertentag Hessen zum Thema Hören.
Leider konnte ich nicht bleiben,solange ich wollte, denn ich hatte per Internet zum erstenmal meine Fahrkarte gekauft mit Sparpreis und zuggebunden.
Mein Teddymän hat auch am Telefon deutlich spüren lassen,dass er wünscht,ich beeile mich nach hause. Es war um so mehr schade,weil es noch
zwei Auftritte geben sollte von einem sehr bekannten Pantomimen mit dem Namen JOMI , selber gehörlos. Doch der Zug rief und ich brauchte zum Hotel
wenigstens 45 Minuten. Da die Kartoffelsuppe nicht geschmeckt hatte,war ich dann froh, dass ich noch zeit hatte, im Hotel zu essen.
Dann also pünktlich Abmarsch per Taxi zum Bahnhof. ärgerlich, dass ich dann feststellen musste,dass der Taxifahrer auf der Anreise mich betrogen hatte,
weil ich dem 25 Euro zahlen musste,während die Rücktour nur 7Euro gekostet hatte.............sei s drum, Ärgern lohnt nicht.
Der Zug kam dann auch pünktlich,aber in Fulda sass ich ungeplant eine Stunde fest,weil der vorgesehene Zug ausgefallen war. Man hat mir aber geholfen,
damit ich unbeschadet weiterfahren konnte ohne Nachzahlung. Am Rande einer grossen Stadt angekommen, entschied ich mich danach spontan, einen anderen näheren
Heimweg zu nehmen, mit dem Resultat, dass mein teddymän nicht zuhause weilte,weil er mich auf unserem Stadtbahnhof abholen wollte.
wegen seiner Spastik gebe ich ihm jedoch kein Handy. es könnte ihm alle Naselang runterfallen und dann .......?

Zufrieden ? Dennmal tschüss Mausohr


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25.08.2013 18:28
avatar  IBI
#24
IB
IBI

Hallo Mauseöhrchen,

meine Neugierde ist gestillt, danke.
Schön zu lesen, dass du die Zeit geniessen konntest und mal Dinge gemacht hast, die du dir sonst wenig gönnst.

Und auch wenn Teddymän dich bereits nach so wenigen Tage vermisst, wirst du dir wieder eine Auszeit in dieser Art gönnen?

Viele Grüsse
Sonja


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25.08.2013 18:48
#25
Ta

Wenn ich es durchaus so haben will, werde ich mich durchzusetzen wissen, denn ich habe begriffen, dass ich es wirklich brauche.
Ich hätte ja Anspruch auf drei Wochen Verhinderungspflege im Jahr, aber da mein Teddymän nicht so lange allein in der Wohnung
bleiben möchte, obwohl er es theoretisch könnte, ist es eine Frage des Geldes. Wir hätte für meine und seine Hotelkosten aufzukommen.
Und das ist nicht zu stemmen, schon gar nicht jedes Jahr.
Einmal war meine Freundin hier als Vertretung, das ging ah soweit gut, nur hat sie zugleich als Assistentin und als Freundin gehandelt,
was darin gipfelte, dass sie das, was in ihren Augen Müll war, entsorgt hat. Zugegeben, es waren nur Kleinigkeiten. Aber ich kam damals
ganz schön ins Staunen, dass mein Mann es überaupt als unzulässigen Übergriff gesehen hat. Als ich heimkam hat er dermassen ein Fass
aufgemacht, am liebsten hätte er die liebe Frau gleich in der Nacht auf die Strasse gesetzt. Ich musste ihm in der Sache recht geben
und dann war 6 Monate eisernes schweigen zwischen ihr und mir. Aber deswegen einen Bruch riskieren, war dann auch nicht mein Ding.
Wir haben ihr vergeben und gut wars. Wir sehen uns allerdings nun noch seltener. Meistens bin ich sogar zufrieden, wenn es nur
um sms oder mail geht. Die Sehnsucht nach einem Wiedersehen hält sich komischerweise in Grenzen. Aber wenn sie da ist, ist alles okay.
Alles klar, ? Tschüss bis denne Mausohr


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