Erste kleine Schritte

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30.11.2021 09:48
avatar  Robin
#1
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Vom Messie zum Minimalisten ist ein langer Weg - oder ein großer Sprung!

In diesem Unterforum stehen schon viele gute Gründe, und so wie es aussieht, ist das einzige, was angezweifelt wird, ob Minimalismus nicht zu extrem ist. Ich habe mir ein paar Filmchen auf Youtube reingezogen und komme mit der freudigen Botschaft von dort: Man muss das nicht extrem machen! Alle dürfen so extrem, wie sie wollen. Und man kann auch in einem Bereich extrem sein und sich in einem anderen Bereich etwas Fülle gönnen! Letzteres gab übrigens für mich den endgültigen Ausschlag. Damit sind meine Bedenken vom Tisch! Ich tue nämlich gern allerlei Dinge... (Einer sibirischen Minimalistin geht's genauso, und mag auch gern Farben - mehr als eine.)

Aber nun - wie anfangen?

Ich habe mich für eine "Guerilla-Doppelstrategie" entschieden. Was so kompliziert klingt, ist in der Praxis sehr simpel und der Weg des geringsten Widerstands. Also folgender Plan:

1. Es werden kontinuierlich, am besten täglich, Dinge aus der Wohnung entfernt. Und zwar deutlich mehr, als ich reintrage. Bei der Auswahl der Dinge, die gehen müssen, mache ich es mir leicht: Ich fange einfach da an, wo ich weder suchen noch graben muss. Also vorne. In Reichweite. Da, wo mein Blick drauf fällt. Und bei Dingen, wo mir die Entscheidung leicht fällt. Das ist also 'ne Nadelstich-Taktik. Und es wird einfach quantitativ gemessen und getrackt, so dass das Ergebnis messbar ist.

2. Ich schaffe kleine Minimalismus-Spaces, kleine "befreite Gebiete". Auch wieder hauptsächlich nach dem Prinzip "Wo der Feind schwach ist, da greifen wir an". Also da, wo der restliche Krempel schon überschaubar geworden ist, wird dann ganz freigeräumt und entschieden, wie der Platz zukünftig genutzt werden soll. Wobei andere berichten, dass man mehrere Runden braucht, und davon gehe ich auch aus. So eine Entscheidung ist also nicht für die Ewigkeit...

3. Schwierig umzusetzen finde ich den Minimalismus in Bezug auf To-Do-Listen. Einerseits ist so ziemlich jeder Gegenstand in der Wohnung ein materialisierter Punkt auf einer ungeschriebenen To-Do-Liste, und die schnellste Art, den Punkt abzuhaken, ist, den Gegenstand rauszutragen. (Ich lege Wert darauf, ihn an seinen besten Ort zu tragen und nicht an den, wohin der Weg am kürzesten ist.) Das sind also ziemlich viele Punkte, und ich halte es für eine unnötige zusätzliche Arbeit, die alle aufzuschreiben. Sobald ich aber vom anderen Ende her komme und frage "Was muss ich erledigen?" fällt mir nach und nach ein endloser Strom von Erledigungen ein... Und ich bin fest davon überzeugt, dass diese Erledigungen immer mehr werden anstatt weniger, wenn man sich mit ihnen befasst, und dass sie dazu tendieren, langfristige Ziele zu verdrängen und sämtliche Freizeit stumpf zu beschlagnahmen. Mit der Methode, einfach alles zu ignorieren, was nicht *unmittelbar* existentiell ist oder Spaß macht, habe ich experimentiert. Ich denke, ich kann es als *Experiment* empfehlen. Also dann, wenn Leute das Gefühl haben, dass es ein Hamsterrad ist, das sich nur immer schneller dreht, je schneller man rennt. *Aussteigen geht*, aber der Preis ist hoch! Es geht dann halt alles so seinen Lauf... Aber verblüffend langsam im Vergleich zu dem Gerenne, das man veranstalten muss, um zu versuchen, diesen Lauf aufzuhalten! Jetzt experimentiere ich mit einem Bullet-Journal, eine Methode, die verspricht, einem zu helfen, dass man merkt, was einem wirklich wichtig ist und dass man daran arbeitet, statt sich zu verzetteln. Bisher schreibe ich aber nur wieder Erledigungslisten und hake ab... Immerhin kann ich es im Moment wieder akzeptieren und habe dabei das Gefühl, dass es auf ein Ziel rausläuft.

4. Neben dem Rausschleppen von Dingen hat sich auch das Kümmern um Dinge, die ich tatsächlich verwende, einen festen Punkt erobert. Auch das ist, wie das Wegschaffen, äußerst befriedigend!

--

Jetzt aber konkret - wo und wie fange ich mit Minimalismus an, und wie fangt ihr an bzw. seid ihr angefangen?

Also, ich habe mir so eine Art "Schaufenster des Minimalismus" in der Küche eingerichtet. Dort habe ich erstmal alles enfernt, schön saubergemacht, und jetzt dekoriere ich dort mit Nutzgegenständen. Langfristig sollen dort Kräuter und Sprossen hin. Aber erstens ist Winter und zweitens hab ich grade Wichtigeres zu tun. Der Minimalismus liegt im Moment in der kreativen Umnutzung - sowohl des Ortes als auch der Dinge. Gerade in einer Küche kann man ganz prima Obst und Gemüse, das man dort eh aufbewahrt, nebenbei als Deko verwenden. Besonders gut geht das in hübschen Gefäßen, die man auch eh aufbewahrt.

Ein zweites kleines Refugium wurden überraschend meine Hosen. Eigentlich fand ich, "Capsule Wardrobe" ist noch lange nicht dran. Aber dann nervte es zu sehr, einen ganzen Stapel Hosen im Schrank zu haben und nicht zu wissen, in wie viele davon ich noch reinpasse und wo sie vergraben sind. Also habe ich tatsächlich alle Hosen aus dem Schrank genommen. Vorher habe ich mir überlegt, wie viele ich brauche. Objektiv: 3, um mich sicher zu fühlen, dass ich nicht überraschend ohne Hose dastehe: 5. Erstaunlicherweise blieben genau 5 Hosen übrig, nachdem ich alle aussortiert hab, die mir grade nicht passen (mitsamt der dicken Thermo-Leggins drunter). Nun habe ich eine ganze Riesentüte voller Hosen, von denen ich hoffe, dass sie mir in absehbarer Zeit wieder passen. Ich hab 'nen Zettel drangemacht "Frühjahr 22". Wenn die lange-Unterhosen-Saison vorbei ist und ich ein bisschen abgenommen hab, will ich da nochmal durchkucken. Erstaunlicherweise konnte ich dann letzte Nacht kaum schlafen, weil diese Tüte danach schrie, weggebracht zu werden. Aber will ich mir etwa im Frühling neue Hosen kaufen?


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30.11.2021 11:55
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#2
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IBI

Zitat
Erstaunlicherweise konnte ich dann letzte Nacht kaum schlafen, weil diese Tüte danach schrie, weggebracht zu werden.


Wenn du die Achtsamkeit und Bewusstheit erhältst wie genau die Tüte sich bemerkbar gemacht hat: in deinem Kopf als Gedanke? in deinem Körpergespür oder als (un)angenehmes Gefühl? Woher weisst du, dass die Tüte dich angeschrien hat? Wonach hat sie gerufen? Hat deine Vernunft geschrien oder dein Abnehmziel oder gar der Verzicht auf etwas oder mehrere Teile?
Wenn du es realistisch betrachtest, weisst du sehr gut, dass weder Tüten noch aussortierte Hosen "schreien" können.
Ich zweifle kein bisschen daran, dass du heute Nacht eine intensive Verhandlung geführt hast, die dich hat schlecht schlafen lassen.
Deswegen finde ich es wichtig, wenn du diesem Phänomen deine beobachtende Aufmerksamkeit schenkst. Wer weiss, vielleicht findest du die Antwort in deinem Bauch oder woanders in deinem Körper und nicht in deinem logisch organisiertem Köpfchen.


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30.11.2021 13:18
avatar  Robin
#3
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Hm, da war eine Verbindung zu dieser Tüte, ein sich-bewusst-sein. Ähnlich vielleicht wie ein Loch im Zahn, das man entdeckt hat und dann immer mit der Zunge danach tastet. Heute bei Tageslicht merke ich nichts mehr davon.

Der Konflikt ist eigentlich ziemlich klar. Mein logischer Verstand sagt, dass ich in absehbarer Zukunft Hosen brauche, die mir jetzt noch zu klein sind. In den letzten 2 1/2 Wochen habe ich 2 1/2 Kilo abgenommen (so schnell wird es nicht dauerhaft weitergehen, aber am Anfang ist es okay).
Die andere Seite ist, dass ich grade von einer Sorte Dinge (Hosen) den größten Teil aussortiert hab und dass das Dinge sind, die *im Moment* total unnütz sind in meiner Wohnung. Und dann will man die halt auch weghaben. Ich bin mir nicht mehr so sicher, dass meine "Kopflogik" psychologisch klug ist. Kommt noch dazu, dass einem sämtliche Minimalist*innen und Aufräumexpert*innen davon abraten, zu kleine Klamotten aufzubewahren, selbst wenn man grade abnimmt. So ganz verstehe ich das nicht, weil es ja auch ein gewisser Aufwand ist, sich neue Sachen zu beschaffen. Und es sind ein paar dabei, von denen ich weiß, dass ich sie gern getragen hab. Vielleicht nur diese raussuchen?
Nun, ich weiß nicht... Und dieses Zaudern ist wohl genau das, was man halt auch ausmisten muss. Sonst wandert am Ende alles nur von einem Stapel auf den anderen, weil man theoretisch alles "zwar nicht jetzt, aber irgendwann" gebrauchen kann. Auf der wieder anderen Seite würde der konsequente Ausschluss von "später" dazu führen, dass man jedes Frühjahr seine Wintersachen weggibt. Ich denke, wie gesagt, dass meine Entscheidung richtig ist, aber sie fühlt sich nicht richtig an. Ich schätze, ich sollte jetzt erstmal was tun, um mir zu beweisen, dass diese Tüte nicht der Anfang vom Ende meines Vorhabens ist! 😂


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30.11.2021 13:38
#4
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Meine Idee ist - den Konflikt verkleinern!

Suche die beiden absoluten Lieblingshosen heraus, die noch zu klein sind, und vielleicht die Thermo-Legging für eisige Wintertage. Beides wohnt dann in einem Karton namens „Reserve“.

Der Rest verlässt dich. Spenden? Altkleider? Beides, je nach Zustand? Egal - bloß bald sollte es sein.

____________________
Viele Grüße, Jennifer

Das Leben umarmen ... ✨🤲

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30.11.2021 18:19
avatar  IBI
#5
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IBI

Zitat
Ich denke, wie gesagt, dass meine Entscheidung richtig ist, aber sie fühlt sich nicht richtig an.


Genau...du DENKST und FÜHLST verschieden....
Oftmals ist das Bauchgefühl das richtige, auch wenn der Verstand das anders sieht. Denn das Bauchgefühl kommt aus deinem Unbewussten und aus deinem autonomen System und sagt etwas über dein inneres Wesen aus. Dein Wesen wurde soo oft übergangen und nicht respektiert, es möchte von dir gehört werden und liebend gerne von anderen gesehen werden wie es ist und das ist so wie es ist, o.k. ist.

Mal eine andere Art und Weise Konflikte zu lösen bzw. miteinander verhandeln zu lassen:

1. Du stellst dich hin und fragst: Ist mir das Aufbewahren der kleinen Lieblingshosen dienlich und beobachtest wie dein Körper darauf reagiert. In welche Richtung bewegt er sich?
2. Du stellst dich hin und fragst: Ist es mir dienlich, alle aussortierten Hosen wegzugeben und beobachtest wie dein Körper reagiert und in welche Richtung er sich bewegt?

(Während ich beide Fragestellungen tippe, kommt aus meinem Bauch....die Hosen, die sie jetzt noch braucht, werden in 3 bis 6 Monaten zu gross sein und wollen dann aussortiert werden)

3. Du stellst dich hin und fragst: Ist der Zeitpunkt, die Tüte mit den aussortierten Hosen der richtige? und prüfst, wie dein Körper reagiert und in welche Richtung er sich bewegt?

4. Du stellst weitere Fragen, die dir die nächtliche Auseinandersetzung beschert hat, die ich nicht kenne und beobachtest, wie deine Körper sich bewegt.

Wichtig sind JA/NEIN Fragen, denn je nach Richtung, in der dein Körper sich bewegt, bedeutet die Antwort Ja oder Nein.
Vielleicht suchst du dir "Kontrollfragen" aus, bei denen du das JA eindeutig kennst und bei denen du das NEIN eindeutig kennst und beobachtest, wie dein Körper reagiert. So kannst du wahrscheinlich deine Körperbewegungen als Antwort erkennen. Achtung: Manchmal bekommt man Antworten, die im Kopf JA heissen und im Körper NEIN bedeuten, dann hat der Körper das "Sagen", nicht der Kopf.

Im Moment möchte ich dir absichtlich nicht sagen, wann es ein JA ist und wann ein NEIN. Ich denke, es ist besser, du experimentierst selber damit und schaust, ob dir die Möglichkeit liegt.

Komme gerne auf mich zurück, wenn du es ausprobiert hast, falls noch Fragen offen sind. Ich möchte dich so wenig wie möglich dabei beeinflussen, sondern dir die Selbstentdeckung ermöglichen.

Zitat
Hm, da war eine Verbindung zu dieser Tüte, ein sich-bewusst-sein.


Eine Verbindung zu der Tüte beschreibst du, aber nicht zu ihrem Inhalt....ist es die Tüte oder sind es die Hosen?...auch hier kannst du achtsam prüfen, welche Verbindung genau es ist.
Vielleicht möchte die Tüte das Haus verlassen ohne den aktuellen Inhalt, sondern mit einem anderen Inhalt.....
Du hast erfolgreich Hosen sortiert, das ist wunderbar.
Dein sanftes Minimalismus-Ziel und dein Abnehm-Ziel wollen auf ihre Weise miteinander verhandeln und ich denke, beide Ziele zu achten und respektieren ist wichtig. Und beide verfolgst du parallel nebeneinander. Das ist eine typische Eigenschaft vieler Messies und sie können das. Das ist Teil deines Wesens und das will von dir Ernst genommen werden.

Vieles von meinem Chaos brauche ich, weil es meinen Zielen und Wünschen dient, die sich in mir zeigen. Und das darf ich brauchen. Die Dinge, die meine Wünsche und Ziele nicht unterstützen, die dürfen das Haus verlassen. Die Menge, die da ist, MUSS ausreichen, die darf nicht weiter wachsen. Da ist irgendwo die Grenze, die ich in meinem Chaos ziehen darf. Wichtig ist sie für ihre vorgesehene Bestimmung zu benutzen und verbrauchen.


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