Messietochter sagt Hallo

  • Seite 1 von 2
04.05.2015 21:06
avatar  ( gelöscht )
#1
Gast
( gelöscht )

Hallo Zusammen. Hab schon beim überfliegen gesehen dass ich nicht die einzige bin. Hab mir den Fragebogen kopiert, beantwortet, und stell den mal hier ein. Damit ist im Grunde alles über die Situation gesagt.
Vielleicht hat der ein - oder die andere Fragen oder Antworten dazu.
Bin 56, heiße Gisela und wohne etwa 250 km entfernt von meiner Mutter.

Hier der Fragebogen:



1. Handelt es sich bei dem "Mess" in der Wohnung des Betroffenen eher um Berge irgendwelcher gesammelten Objekte, oder eher um Müll/Essensreste/Dreck?

90 % gesammeltes, für uns Angehörige wertloses wie 1000de Zeitschriften aus etwa25 - 30 Jahren, Kleidung der letzten 50 - 60 Jahre, Haushaltswaren und z.T. Jahrelang, maches 15 Jahre lang abgelaufene Lebensmittel.

2. Wer lebt noch mit dem Betroffenen zusammen? Du selbst, andere Angehörige, Kinder, Haustiere? Worin bestehen deiner Meinung nach die für diese Mitbewohner problematischsten oder belastendsten Einschränkungen im Alltag?
Niemand - meine/unsere Mutter lebt alleine

3. Wie sieht ein typischer Tag im Leben des Betroffenen aus?

4. Gibt es diagnostizierte, vermutete oder bereits ausgeschlossene Erkrankungen/Störungen, die entweder als Auslöser in Frage kommen, oder die Situation verschärfen? (zum Beispiel Depressionen, ADS/ADHS, Traumata, aber auch Gehbehinderung, hohes Alter, Demenz, Rückenleiden....)

Hat sich die letzten 25 Jahre etwa als schleichender Prozess entwickelt. In meiner Kindheit (bin 56) war sie das absolute Gegenteil. Pedantisch ordentlich mit Staubund Putzfimmel.

5. Weiß der Betroffene, dass er ein Messie ist (es reicht nicht, es ihm mal gesagt zu haben, wenn er das vehement bestreitet)? Wenn ja, hat er schon mal versucht, dagegen anzugehen? Wie ist das verlaufen?

Sie sieht teils ein dass es schlimm ist, hat aber im Kopf, alles alleine zu machen, im Kopf hat sie schon einen Plan. Allerdings sehr fragwürdig, verzettelt, weit ab jeder Realität.

6. Oft gibt es wiederkehrende Konflikte zwischen dem Betroffenen und engen Angehörigen. Wie verläuft ein solcher, typischer Konflikt genau? Wer sagt oder tut was, wie reagiert der andere, wie wird die Konfliktsituation beendet?

Meist schieben wir das Thema beim telefonieren weg, allerdings angesichts der Tatsache dass der Vermieter wieder kommen wird und beim letzten Besuch angedroht hat dass er kündigt ist es immer wieder das Thema. Vor Ort - hat sie uns die letzten 10 Jahre nur 2 oder 3 mal in die Wohnung gelassen und dabei wesentliche Teile abgesperrt - auch dieses mal.

7. Weißt du etwas über die Kindheit bzw das Elternhaus des Betroffenen?

Ja, meine Mutter ist ein Flüchtlingskind aus Schlesien mit dominanter Mutter und im Krieg verstorbenen Vater. Alles sehr ordentlich und geregelt aber nicht ungewöhnlich. Später 2 Ehen mit den "falschen" Männern. 2 ungewollte Kinder (mich und meine 15 Jahre jüngere Schwester). Eigentlich sind alle Menschen ihrer Ansicht nach falsch. Wahr und gut ist was die Kirche sagt (das was ihr gefällt davon) und was in der Zeitung steht.

8. Liegt ein "extremer Verwahrlosungsgrad" vor? Merkmale: Können die Bewohner des Hauses in ihren Betten schlafen? Sind die Sanitäranlagen benutzbar? Können sich die Hausbewohner etwas zu essen zubereiten? Werden normale Lebensmittel verarbeitet, oder solche, von denen eine Gesundheitsgefährdung ausgehen könnte? Funktionieren warmes Wasser, Strom und Heizung?

Ich würde sagen fast extrem. Ein Bett ist zugängig, weitgehend noch in Ordnung. ebenso die Toilette. Die Badewanne ist teils zugestellt aber sie badet in größeren Abständen. Im Wohnzimmer gibt es noch 1 Sitzplatz zwischen zugedeckten zeitungsbergen zum essen auf dem Schoß und Blick auf den TV. In der Küche scheinen einige Töpfe im gebrauch aber eine Arbeitsfläche ist kaum bis gar nicht vorhanden. Wir haben 1 Müllsack mit Lebensmitteln aus dem Kühlschrank entsorgt und diesen gereinigt.

9. Besteht der Verdacht auf Selbstgefährdung (z.B. Suizidgedanken oder -absichtserklärungen, Verweigerung oder Vergessen von lebenswichtigen Medikamenten) oder andere bedenkliche Verhaltensweisen? Einfach benennen, auch wenn du nicht sicher bist.

Nein. Allerdings ist sie 81 und schon immer krank - laut eigener Aussage. Mittlerweile nun altersbdedingt natürlich div. Beeinträchtigungen.

10. Besteht der Verdacht auf Fremdgefährdung bzw Gefährdung fremden Eigentums? Z.B. offen liegende Steckdosenanschlüsse, wenn Kinder im Haushalt leben, Tiere, an denen Anzeichen von Verwahrlosung zu erkennen sind, Bausubstanzbeschädigung durch Schimmelbefall, Ungeziefer

Schimmelbefall ... wäre möglich aber nicht sichtbar.

11. Erzähle das, wonach wir noch nicht gefragt haben. Warum bist du heute hierher gekommen? Wie geht es dir zur Zeit, und wie geht es dir jetzt im Moment? Was möchtest du loswerden? Was findest du, sollten wir sonst noch über den Betroffenen, über dich, oder über euer Verhältnis zueinander wissen?

Wir waren am vergangenen Wochenende 2 Tage für je etwa 6 - 7 Stunden in der Wohnung um div. Dinge zu reparieren und etwa 10 volle Müllsäcke zu entsorgen, alles unter großem Stress ihrerseits. da sie ja nichts weggeben wollte. Gab auch Streit der fast eskaliert wäre, danach ging es etwas besser. Grob oben rum wo wir durften und in der Küche sowie die erreichbaren Bodenflächen haben wir gesäubert. Als wir fuhren wurden wir wieder beschimpft als grausam und böse da wir 2 oder 3 kleine Dinge aus Versehen mit entsorgt haben (1 Halstuch, ein Pfund Butter). Was sehr auffällig ist - alles, wirklich alles ist zugedeckt, jeder Schuh mit 2 Stück Toilettenpapier ider einem Blatt Küchenrolle z.B. größere Berge mit großen Tageszeitungsseiten, Kleidung etc. mit Tüchern. Und sie wollte dass ich die Garderobe an der etliche Kleidungsstücke hängen mit einem Stoff verhülle. Hab ich abgelehnt - entsorgen oder lassen - ich helfe nicht beim weitersammeln und verpacken.
Unser Verhältnis ist sehr gespannt aus vielerlei Gründen - nicht nur durch ihr Messie-Leben.

12. Deine Fragen - zum Messiesyndrom im Allgemeinen? Zu deinem Fall im Speziellen? Kannst du formulieren, was du dir von deinem Besuch hier erhoffst, erwartest oder wünschst?

Das was mich derzeit am meisten belastet ist tatsächlich, dass der Vermieter kündigen könnte. Meine Mutter lebt seit 30 Jahren in der Wohnung. Dann würde sie vermutlich in ein Pflegeheim kommen oder schlimmeres da sie sich entsprechend wehren würde wenn jemand ihre Sachen entsorgt. Diese (für uns) wertlosen Dinge sind ihr "Besitz". Auch wenn ich zeitlebens keine Liebe erfahren habe, für sie eine längere Zeit Unterhalt zahlen musste (sie lebt seit 40 Jahren erst von Sozialhilfe und nun von Grundsicherung) und keine wirkliche Bindung besteht hab ich dennoch ein moralisches Verantwortungsgefühl. Was mittlerweile schwer zu vermitteln ist - auch meinem Mann gegenüber der am Wochenende trotzdem sehr mit angepackt hat. Ich hoffe sehr dass sie in der Wohnung bleiben kann, einmal einschläft und dann alles überstanden hat - ohne Stress der sie sehr verletzen würde. Das möchte ich nicht. Sie da raus zu holen wäre schlimmer für sie als so zu leben. Auch wenn es uns unverständlich ist. Dem Vermieter hat sie mitgeteilt (soweit wir wissen und das auch versprochen haben) dass wir die Wohnung ausräumen wenn sie einmal nicht mehr ist.

Eine Vorsorgevollmacht habe ich seit etwa 2 - 3 Jahren. Aber - wird sie dort so gefunden, wer weiß ob das Gericht dann nicht jemanden bestellt der uns nicht mal rein lässt? Denn im Gesammelten sind ein paar pers. Dinge die aus unserer Kindheit sind. Die zu finden bedeutet alles zu räumen und durchzusehen.
Sie raus zu holen ginge nur über Entmündigung, so weit waren wir vor etwa 3 Jahren schon mal. Da hat das Krankenhaus bzw. div. Ärzte das veranlasst und nur durch viel Engagement meinerseits haben wir es verhindert.

Uff - nun hab ich alles wieder ganz nah an mich heran gelassen und muss erst wieder runterfahren.

Danke fürs lesen und Eure Meinungen oder Ratschläge dazu.


 Antworten

 Beitrag melden
04.05.2015 21:39
#2
Ta

Oh,oh,oh......Deine Mutter muss sehr tief verletzt worden sein auf emotionaler Ebene.......
Der ganze "Besitz" dient ihr wahrscheinlich als schützende,bergende Burg.

Die übrigen Infos sind für mich nachvollziehbar. Nur mit dem Unterschied, ich hätte es nicht geschafft, dafür zu kämpfen,
gerichtliche Betreuung zu verhindern. Ich kann ja nicht helfen, Mama ist 84 und Stiefvater 92.
ein Stiefbruder hilft da auch mit.....aber nur im Bereich seiner Möglichkeiten.

Ich finde es gut so, wie Du es machst. Sie hat ihre Struktur nach ihren Möglichkeiten, isst und trinkt regelmässig.
Mehr scheint nicht mehr möglich.........aber ich verstehe auch gut, dass Du Austausch brauchst, denn sowas kann man nicht
alleine (er)tragen. Grüssele Mausohr


 Antworten

 Beitrag melden
04.05.2015 22:32 (zuletzt bearbeitet: 04.05.2015 22:33)
avatar  ( gelöscht )
#3
Gast
( gelöscht )

Hallo Happyness,

leider erwischst du mich gerade mehr oder weniger auf dem Sprung, da ich zur Zeit Besuch habe, und deshalb in den nächsten Tagen nur eingeschränkt im Forum tätig sein kann.

Mein erster, spontaner Eindruck (normalerweise nehme ich mir dafür wesentlich mehr Zeit): Es geht nicht um Heilung, sondern es geht darum, für sie diesen Zustand/den Ort zu erhalten. Bei dem hohen Alter und der Vorgeschichte erscheint mir das verständlich, legitim und möglicherweise tatsächlich die beste Möglichkeit (alten Baum kann man nicht verpflanzen usw).

Zuerst: So einfach geht es nicht. Weder "Entmündigung" (die gibts gar nicht mehr), noch Rauswurf/Kündigung.

Deine Mutter hat das Recht, so zu leben, wie sie leben will, mit ihrem ganzen Plunder, Müll und Dreck - vorausgesetzt, dass sie damit nicht anderen, nicht sich selbst, und nicht der Bausubstanz schadet. Wenn kein Schimmel zu sehen ist, kein Ungeziefer da ist, keine üble (wirklich wirklich üble) Geruchsbildung da ist - hat der Vermieter überhaupt kein Recht, ihr eine Kündigung auszusprechen. Die würde ich knallhart aussitzen und mich "rausklagen" lassen - was nämlich im Sande verlaufen wird. Nur versuchen es viele Vermieter eben einfach mal - in der Hoffnung, dass derjenige aus lauter Angst und Stress gleich klein beigibt. Is nich. Das Grundgesetz ist auf der Seite deiner Mutter.

Ehrlich gesagt ist mir auch rätselhaft, wieso du viel rotieren musstest, um eine Entmündigung zu verhindern. Ich glaube dir absolut, dass da irgendwas war - aber ich sage, es kann eigentlich gar nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Manche Leuten hätten das wohl gerne, und wo kein Kläger, da kein Richter. In der Praxis funktioniert es also vermutlich viel zu oft - obwohl es rein juristisch gesehen absolut nicht sein darf. Es sei denn, mir fehlen jetzt bestimmte Informationen, die du nicht erwähnt oder vergessen hast, oder die dir auch nicht bekannt sind.

Ich empfehle dir für den Einstieg folgende drei Beiträge in unserem Bereich "Informationen rund um das Messiesyndrom":

"Entmündigung"
"Typische Reaktionen, und wie..."
"Deeskalation von Konflikten"

Informationen rund um das Messiesyndrom

__________

Sehr auffällig: Alles abgedeckt. Klingt für mich ziemlich eindeutig nach Scham. Das ist ein häufig beobachtetes, wenn auch variiertes Verhaltensmuster. Die Person ist sich bewusst, dass ihre Umwelt völlig aus den Fugen geraten ist, und sie schämt sich dafür, kann sich aber nicht anders helfen, als abzudecken.

Das Festklammern an den Dingen, und die wütende Reaktion auf versehentliches Entsorgen der falschen Dinge (es scheint aber doch so zu sein, dass sie es bei bestimmten Dingen akzeptiert? Gammelige Lebensmittel usw? oder sehe ich das falsch?) scheinen mir in Kombination mit dem Beharren, es selbst machen zu wollen, möglicherweise ein Hinweis darauf zu sein, dass sie sich nicht bevormunden lassen will, und das ist im Grunde etwas Verständliches: Ein Mensch könnte, sollte, müsste ja eigentlich in der Lage sein, seinen Haushalt selbst im Griff zu haben. Sie hat es nicht, will das nicht wahrhaben...wie das "berühmte" Beispiel mit dem Mann, der nicht mit Messer und Gabel essen kann, aber sich trotzdem nicht von anderen füttern lassen will.


"Auch wenn ich zeitlebens keine Liebe erfahren habe, für sie eine längere Zeit Unterhalt zahlen musste (sie lebt seit 40 Jahren erst von Sozialhilfe und nun von Grundsicherung) und keine wirkliche Bindung besteht hab ich dennoch ein moralisches Verantwortungsgefühl. Was mittlerweile schwer zu vermitteln ist - auch meinem Mann gegenüber der am Wochenende trotzdem sehr mit angepackt hat. Ich hoffe sehr dass sie in der Wohnung bleiben kann, einmal einschläft und dann alles überstanden hat - ohne Stress der sie sehr verletzen würde. Das möchte ich nicht. Sie da raus zu holen wäre schlimmer für sie als so zu leben. Auch wenn es uns unverständlich ist."

Eine sehr faszinierende, berührende und nach meiner bisherigen Erfahrung ausgesprochen seltene Einstellung. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich dazu beglückwünschen sollte. Ich bin an dieser Stelle versucht zu sagen: "Wenns weiter nichts ist, als das mit der Sorge, dass sie rausfliegen könnte - das haben wir ja jetzt schon geklärt", aber irgendwie murmelt mir mein Bauchgefühl zu, dass das nicht alles ist. Irgendwas, glaube ich, belastet dich so richtig derbe. Vielleicht irre ich mich auch, oder habe heute gerade keine Antenne, aber aus dem Bauch raus glaube ich, dass bei dir große Wut in einem ganz harten Kokon tief innendrin fest verpackt wurde.


 Antworten

 Beitrag melden
05.05.2015 14:35
#4
Ta

Ja numi, du kannst recht haben, da wartet noch was drauf, dass Tochter und Mutter etwas miteinander zu bearbeiten haben,
was aber angesichts des Alters der Mutter wahrscheinlich nicht mehr geht. Ist bei mir auch so ähnlich.
Es gibt Sachen, die ich Mama nicht fragen kann, weil die mit Schmerz verbunden sind.
Da bleibt nur, ihr vergeben und die Fragezeichen stehen lassen.

Grüssele Mausohr


 Antworten

 Beitrag melden
05.05.2015 17:09 (zuletzt bearbeitet: 05.05.2015 17:09)
avatar  ( gelöscht )
#5
Gast
( gelöscht )

@Tante Mausohr: Wie ich es aus Kindertagen erzählt bekam (die "Verletzung" meiner Mutter) Sie wog nur 3 Pfund und hatte die Nabelschnur 3 x um den Hals (heute besteht sie auf 8 x ) dann war sie das geliebte Kind ihres Vaters der im Krieg starb als sie etwa 8 war. Flucht aus Schlesien, starke und dadurch dominante Mutter, noch mit 15, 20 und 22 3 weitere Geschwister von 2 weiteren Männern (der letzte als bleibender Stiefvater. Dann nach einer geplatzten Verlobung mein Vater - schnell schwanger, kein geld, Ehe zerbrochen. Nächster Mann einige Jahre später, meine Schwester ungewollt bekommen. Aber - auch immer allen die Schuld gegeben an dem was in ihrem leben schief lief. Sie wusste alles was andere falsch gemacht haben, nur sie hat immer alles richtig gemacht. Das ist heute noch so. Die Sache mit ihrem "Besitz" - genau so ist das!
Dank Dir Tante Mausohr :-)


 Antworten

 Beitrag melden
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!