Einen Anfang finden

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01.03.2014 10:13
avatar  Berle
#1
Be

Hallo liebe Mitmessies.

Einen Anfang zu finden ist so verdammt schwer.

Aber zuerst mal kurz etwas über mich, da ich ja neu hier bin.

Messie bin ich glaube ich schon so lange ich denken kann. Dunkle Erinnerungsfetzen an mein eigenes Kinderzimmer, in dem man sich nicht mehr wirklich vorwärts bewegen konnte. Als ich dann einen eigenen Haushalt hatte, gab es erst immer "nur" Ecken, vor den Blicken anderer geschützt, die total chaotisch waren. Diese Ecken hatte ich schnell in jeder Wohnung in der ich wohnte. Ecken, in denen der ganze Müll verlagert wurde, wenn ich den Rest der Wohnung vorzeigetauglich machen musste. Aus den Ecken wurden dann aber Zimmer. Oder besser gesagt 1 Zimmer....mein Schlafzimmer. Ich schlief nur noch im Wohnzimmer auf der Couch und mein Schlafzimmer konnte ich bald nicht mehr öffnen.
Irgendwann kam dann das was kommen musste. Ich verfiel immer mehr in tiefste Depressionen. Bei der Arbeit brachte ich allerding 100% und mehr Einsatz. Meine Kollegen bewunderten mich wegen meinem Fleiß. Zu Hause war ich dann leere Hülle....zu nichts mehr fähig. Wirklich zu rein gar nichts. Aber dort musste ich trotzdem und versuchte so gut es ging mich da auch noch um meine Tochter zu kümmern.
Irgendwann bezahlte ich keine Rechnungen mehr, weil ich immer wieder mal mit meiner Tochter in ein Hotel eine Stadt weiter ging, um wenigsten mal ein bisschen durchatmen zu können wieder. Das ging natürlich wahnsinnig ins Geld, was dann für die Zahlung von Rechnungen fehlte. Mietrückstände. Öfter kein Strom. Schließlich kam die Kündigung der Wohnung. Zwangsräumung erwartete mich.
Zur gleichen Zeit fing ich an bei der Arbeit abzubauen. Ich war immer öfter krank.
Und dann kam der Tag der Zwangsräumung, vor dem ich die ganze Zeit erfolgreich die Augen verschlossen hatte.
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so etwas demütigendes erlebt. Fremde Leute kamen in meine Wohnung. Der ganze Müll, der sich in meiner Wohnung befand, wurde erst malgleichmäßig in der Wohnug verteilt. Schränke aufgerissen. Alles hinaus geschmissen. Ich konnte noch Kartons packen mit Sachen, die ich behalten wollte. Mein verbleibends Hab und Gut wurde dann in eine Obdachlosenunterkunft gebracht.
Zu allem Elend hatte sich grad an dem Tag auch noch das Jugendamt angesagt. Sah das ganze Chaos und ein Tag später war meine Tochter weg. Daran wäre ich fast zerbrochen.
Nun sind mittlerweile ein paar Jährchen vergangen seid dem. Ich habe die Kleinstadt in der ic damals wohnte verlassen und bin in eine größere Stadt gezogen.
Anfangs schaffte ich es noch ganz gut, meine Wohnung in Schuss zu halten. Meine Tochter lebt weiterhin nicht bei mir und das wird auch so bleiben. Aber sie kommt in den Ferien immer zu mir und wir haben ein gutes Verhältnis.
Immer wenn ihr Besuch näher rückt, wächst der Druck bei mir. Die Wohnung muss ok sein bis sie kommt.
Bei ihrem letzten Besuch habe ich es nicht ganz geschafft. Alle Räume waren ok, bis auf die Küche. Sie hat es ignoriert. Sie ist 14 Jahre alt. Gegessen haben wir im Wohnzimmer.

Nun steht bald wieder ihr Besuch an anfang April. Die Küche ist immer noch zugemüllt. Die anderen Räume gehen. Müssen zwar auch gemacht werden, aber es ist überschaubar.
Aber die Küche.....Mülltüten stehen herum. Der Tisch ist voller Müll. Auf dem Boden liegt Zeugs rum. Kühlschrank, Herd und Spüle sind dreckig. Und ich fang wieder an vor mir her zu schieben. Morgen...ja morgen fange ich an. Nächster Tag wieder das gleiche. Morgen....morgen aber wirklich. Dann schaffe ich es immer herrlich in Gedanken den Raum sauber zu machen. Denke dann Ja! Genauso werde ich es machen.....morgen.
Naja und dann ist da die bei vielen anderen bekannte Scham und Angst den Müll zu entsorgen.Was sollen die Nachbarn denken, wenn ich so viel Müll rausschleppe. Aus diesem Grund lagern schon ein paar Mülltüten auf dem Dachboden von vorherigen Aufräumaktionen.
Ich glaube das ist manchmal wirklich das, was mich am meisten hemmt. Die Entsorgung des Mülls.

Wenn ich dann mal anfange, muss ich alle paar Minuten Pause machen, weil ich dann wirklich körperlich am Ende bin. Eine Mülltüte halb voll gepackt und ich bin am Ende.

Vielleicht hilft s mir, genau hier den Anfang zu machen. Es ist ja etwas worüber man mit niemanden sprechen kann. Aber hier kann ich es und es tut gut.
Ich möchte gerne versuchen hier jeden Tag ein bisschen in diesem Thread zu schreiben und bericht erstatten, was ich geschafft habe oder auch nicht geschafft habe.
Vielleicht hilft es ja.
Ich hoffe es so sehr.
Wenn ich es nicht schaffe, meine Wohnung bis zu ihrem Besuch aufzuräumen, weiß ich nicht, ob ich sie überhaupt kommen lassen kann. :(
Ich hab mir auch schon einige Tipps zum aufräumen hier durchgelesen. Ich denke ich werde rausfinden müssen, welche Tipps zu mir passen.
Bin natürlich auch hier für jeden weiteren Tipp dankbar.

Liebe Grüße
Berle


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01.03.2014 10:27
avatar  IBI
#2
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IBI

Liebe Berle,

schön, dass du dich getraut hast, dich anzumelden, um zu sehen, ob wir dich stützen können.

Danke für deine traurige Geschichte. Das was du erlebt hast, obdachlos zu sein, davor habe ich eine sehr grosse Angst. Vielleicht kannst du sie mir nehmen, indem du über deine Erfahrungen schreibst, wenn du magst.

Weisst du, wenn ich Aufgaben vor mich her schiebe, dann sind innerlich traurige Themen, die mich belasten und unangenehme Gefühle, denen ich ausweichen will, und darum mache ich die Aufgaben nicht. Ich kann mir vorstellen, dass es für dich ähnlich ist, du vor der Aufgabe stehst, herauszufinden, um welche Gefühle es genau geht. Wenn du dir das bewusst machen kannst, dann könntest du möglicherweise leichter einen Anfang finden, und wenn es gerade 5 Minuten täglich sind, wie Sissi hier anbietet. Meistens werden es von selbst mehr als 5 Minuten, doch wenn du dir die Aufgabe zu gross machst, wirst du sie noch weniger starten.

Ich freue mich auf deine Impulse
Viele Grüsse
Sonja


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01.03.2014 10:50
avatar  Berle
#3
Be

Hallo Sonja,
danke für deinen Zuspruch.

Hm...Thema Obdachlosigkeit. Ich weiß nicht, ob ich dir die Angst davor nehmen kann. Die Erfahrung war neben der Räumung einer der Schlimmsten, die ich gemacht habe.
Das mag auch von Stadt zu Stadt anders sein. In der Stadt, in der ich damals wohnte waren die Zustände grauenhaft.
Es handelte sich da um ein altes Haus. Die Wohnungen dadrin waren verdreckt. In den Ecken lagen Spritzen rum, die ich erst mal entsorgen musste. Ich hatte versucht mich ein wenig da einzurichten, damit es nicht ganz so trostlos war. Ich musste 1 Monat dort bleiben, dann hatte ich zum Glück eine neue Wohnung.
Vielleicht kannst du dich ja mal irgendwie in deiner Stadt erkundigen, wie die Obdachlosenunterkünfte dort so aussehen, falls der Ernstfall dann mal wirklich auftauchen sollte, weißt du wenigstens, was auf dich zukommt.

Heute weiß ich allerdings zumindestens, dass mir das nicht mehr passieren wird. Ich bin damals zum Gericht gegangen und habe selber meine finanzielle Sorge abgegeben. Es war ein sehr schwerer Schritt, den ich aber noch nie bereut habe. Meine Betreuerin kümmert sich um alles, was mit Geld zu tun hat. Ich bekomme monatlich Bargeld, mit dem ich dann haushalten muss. Alle Rechnungen werden bezahlt. Gleichzeitig spart sie immer einen kleinen Betrag für mich jeden Monat, falls Anschaffungen ins Haus stehen. Etwas, was ich selber nie geschafft hatte.

Innerlich traurige Themen gibt es einige bei mir. War auch schon verschiedentlich in Therapie. Ein Therapeut meinte einmal zu mir, dass ich mit meiner äußeren Unordnung vermeide, dass meine Tochter wieder ganz zu mir kommen kann. Dass ich das quasi unbewusst "extra" mache, weil ich mich der Aufgabe nicht gewachsen fühle, das ja aber niemals offen zugeben könnte, weil sich sowas für eine Mutter ja nicht gehört. Keine Ahnung, ob da was Wahres dran ist.

Ja, 5 Minuten täglich sind eine erst mal überschaubare Zeit. Heute muss ich erst mal anfangen in dem ich einkaufen gehe und Putzzeugs und so einkaufe. Etwas, was mir auch immer eine gehörige Portion Anstregung abverlangt, weil ich schon seid einiger Zeit sozial ziemlich isoliert lebe, fällt esmir immer schwer, meine Wohnung zu verlassen. Bin ich dann unterwegs geht mir immer im Kopf rum: "Ich will wieder nach Hause!"
Zähle jetzt schon, wieviele Stunden mir noch bleiben, um einkaufen zu gehen.

Liebe Grüße
Berle


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01.03.2014 11:02
avatar  IBI
#4
IB
IBI

hallo Berle,

du schreibst:
>Ein Therapeut meinte einmal zu mir, dass ich mit meiner äußeren Unordnung vermeide, dass meine Tochter wieder ganz zu mir kommen kann. Dass ich das quasi unbewusst "extra" mache, weil ich mich der Aufgabe nicht gewachsen fühle, das ja aber niemals offen zugeben könnte, weil sich sowas für eine Mutter ja nicht gehört. Keine Ahnung, ob da was Wahres dran ist.<

ich denke, dass es wert sein kann, dass du diesen Ansatz wirklich näher anschaust. möglicherweise machst du das quasi unbewusst extra um dem traurigen tag, an dem sie dir deine tochter genommen haben, nicht immer wieder erneut erleben zu müssen, denn als mutter hast du versagt, in den augen des jugendamtes. und regelmässig an dieses versagen erinnert zu werden, das tut weh in vielen Richtungen. ich weiss nicht, wie dir das gelingen kann und habe keinen tipp dazu, doch langfristig ist es deine aufgabe, dich von dem "versagen als mutter" loszulösen. du weisst, dass es deinem Kind gut geht, ihr habt ein gutes Verhältnis zueinander und ich vermute, dass dein Kind die Chance hat, dinge zu lernen, die du ihr nicht hättest beibringen können (zum Beispiel den umgang mit Geld).

zeig deinem Kind, dass du es liebst und gibt dir den dazugehörigen "aufräumruck", denn alles was du nicht beginnst, hat mit dir zu tun.

Viele grüsse
Sonja


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01.03.2014 11:20 (zuletzt bearbeitet: 01.03.2014 11:20)
avatar  Berle
#5
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Dass ich sie liebe, weiß sie. Das war von Anfang an immer das wichtigste für mich, dass sie immer weiß, egal was ich oder was sie tut, es gibt nichts, was meine Liebe zu ihr löschen könnte.
Sie ist toll. Und ja, es stimmt. Vieles, was sie dort lernt, hätte sie bei mir niemals gelernt. Viele Erfahrungen, die sie dort machen kann, hätte sie bei mir nicht gemacht.
Sie wohnt in einer therapeutischen Gruppe mit 5 - 6 Kindern. Dort hat sie zusammen mit einem anderen älteren Kind einen eigenen Bereich im Anbau mit eigenem Badezimmer und sogar eigenem Eingang. Die Erzieher sagen immer, sie wäre kein typisches "Heinkind". Sie ist "normal" ohne Verhaltensauffälligkeiten, so wie bei den anderen Kindern dort. Alle mögen sie dort, weil sie tolle soziale Kompetenzen besitzt, charmant, keck und humorvoll ist. Schon als ganz kleines Kind flogen ihr immer alle Herzen zu. Die Erzieher versuchen mir auch immer zu vermitteln, dass sie so ist, wie sie ist, weil ich sehr vieles sehr richtig gemacht habe bei ihr. Und dass ich da durchaus auf mich Stolz sein kann.
Das selber aber auch so zu verinnerlichen ist verdammt schwer.
Ich versuche auch immer diese positiven Aspekte zu sehen. Ein geregeltes Leben, das Aufwachsen mit anderen Kinder bei denen sie sich behaupten muss, so wie in einer Großfamilie. Der Kontakt auch zu männlichen Bezugspersonen, die es bei mir nicht gab und vieles andere. Manchmal gelingt es....manchmal nicht. Da überwiegt einfach nur der riesengroße Schmerz und das Gefühl, versagt zu haben.

Und den Auräumruck geb ich mir jetzt, indem ich mich fürs einkaufen fertig mache....innerlich und äußerlich.:)

Ich werde später berichten, ob und wie es mir gelungen ist.
Bis dahin liebe Grüße
Berle


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