Kontakt zum Enkelkind

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12.01.2017 19:03
#1
Nu

Hallo liebes Forum,

vor einigen Jahren habe ich mich schon einmal an euch gewandt, um mir mal die ganze Last mit meiner Mutter vom Herzen zu schreiben. Damals ging es noch "bloß" um den Zustand ihrer Wohnung und meiner großen Angst, andere Leute könnten davon Wind bekommen.

Jetzt hat sich unglaublich viel verändert bzw. eigentlich hat sich eben nichts verändert. Mein Albtraum von damals, die Karten könnten auf den Tisch kommen, hat sich bewahrheitet, aber ich konnte erstaunlich gut Distanz dazu nehmen. Sie musste ihr Haus verkaufen und von der Wohnungsbegehung durch die Interessenten bis zum Entrümplerteam haben sich mehr als genug Menschen durch das Chaos ihrer Wohnung gekämpft. Naja, ganz kalt gelassen hat es mich dann auch wieder nicht, es ist und bleibt ein schreckliches Gefühl.

Was zwischen meiner Mutter und mir wieder mal zu großem Streit geführt hat, war ihre durchgängige Untätigkeit. Der Käufer hat ihr und den anderen Bewohnern ihres Hauses mehr als ein ganzes Jahr Zeit eingeräumt, sich etwas Neues zu suchen und alles zusammen zu packen, was sie mitnehmen möchte. Den Rest hat sie einfach dort lassen dürfen und es wurde auf Kosten des neuen Besitzers (indirekt jedenfalls auf seine Kosten, er wird das wohl im Kaufpreis schon entsprechend berücksichtigt haben) geräumt. Sie hat monatelang, bis kurz vor Schluss, kaum einen Finger gerührt. Ich persönlich hätte den Ehrgeiz gehabt und gewollt, dass meine Wohnung zum Ende hin wenigstens begehbar ist, aber gut. Eine neue Wohnung hat sie sich organisiert, aber damit war es das dann auch schon. Zugegeben, ich habe mich zurückgezogen und nur dafür gesorgt, dass meine dort gelagerten Sachen rechtzeitig rauskommen, zu mehr habe ich mich nicht in der Lage gefühlt. Dabei habe ich auch mal wieder gesehen, wie schlimm es in ihrer Wohnung inzwischen aussah, was mir immer noch so was von wehtut, weil ich es einfach nicht begreifen kann.

Jetzt in ihrer neuen Wohnung fängt die Tragödie leider von vorne an. Durch ihre Trägheit und da ihre neue Wohnung um die Hälfte kleiner ist als die Alte war sie gezwungen ihren Hausrat drastisch zu reduzieren, aber es beginnt alles von vorne. Man kann sich nicht an den Esstisch setzen, ohne dass sie nicht vorher wieder zig Sachen wegstellen muss, die Küche ist schon wieder ungepflegt und schmutzig, im Bett kann sie schon wieder nicht schlafen (weniger Bett als Ablageort für so ziemlich alles) und das neue Sofa ist jetzt schon durchgelegen und rings herum lagert Zeug. Was habe ich erwartet, dass mit der neuen Wohnung alles besser wird? Ja! Irgendwie dachte ich, es ist eine neue Chance und sie nutzt es wieder nicht.

Ich bin mittlerweile schwanger und mein Partner und ich freuen uns sehr auf den Nachwuchs. Ich habe relativ lange gezögert, es meiner Mutter zu sagen, da ich wusste, dass sie mich zur Weißglut treiben wird. Trotz allem freut sie sich auch ein bisschen auf das Baby, aber mir kommen immer mehr Fragezeichen. Viele Jahre habe ich mit dem Stempel "Messi" gelebt, weil meine Mutter die Kontrolle über ihr Leben verloren hat. Es war und ist eine Gradwanderung, wenigstens eine gewisse Grenze zwischen mir und ihr zu ziehen und so verwahrlost, wie sie jetzt schon wieder weiterlebt, kann ich mir keinen normalen Kontakt zu meinem Kind vorstellen. Ich wünsche mir Normalität, nichts mehr als das. Aber allein schon mit meinem Freund und dem Baby zu meiner Mama Kaffee trinken gehen ist ja schon unmöglich, das Baby wird älter werden und irgendwann fragen stellen, weshalb es bei Oma so aussieht. So war es jedenfalls bei den Kindern meiner älteren Schwester und ich bin nicht gewillt mir nun auch noch vor der Familie meines Freundes den Stempel aufdrücken zu lassen.

Umgekehrt ist es auch alles andere als entspannt, wenn sie zu Besuch ist. Bis jetzt war sie noch nicht bei uns im Haus. Bei früheren Besuchen war es immer ein Spießrutenlauf, sie mäkelt vor anderen Gästen an allem herum und stürzt sich auf so belanglose Details und findet keinen Punkt. Einmal war es ein Vorhang, der in ihren Augen falsch hing, ein anderes mal ließ sie es sich nicht nehmen mir in gehobener-Zeigefinger-Manier einen Vortrag über falsches Lüften zu halten. Dass sie selbst in ihrer Wohnung wohl schon jahrelang kein Fenster mehr öffnen konnte macht ihren Tadel nicht sehr authentisch.

Mein Problem ist nun wie ich den zukünftigen Umgang mit dem Baby regeln kann. Ich will es ihr nicht vorenthalten, aber ich will auch nicht, dass mein Kind in den gleichen Strudel gezogen wird wie ich damals. Vielleicht erwarte ich weniger einen Rat, als dass ich einfach bloß mal wieder frei von der Seele sprechen kann. Danke fürs Lesen und liebe Grüße


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12.01.2017 20:00
avatar  Henni
#2
He

hallo nucleolus
ich kann erahnen was du fühlst mir geht es genauso.man kämpft
gegen windmühlen .mein grösster traum wäre ....mein sohn
ruft mich an und sagt "muttern willst du mal auf ne tasse kaffee
vorbeikommen".
vielleicht wird dein kind dir mehr zugang zu deiner mutter geben.
wir normalos werden uns da nicht reindenken können.
lg henni


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12.01.2017 20:14
#3
Nu

Liebe Henni,

Danke dir für deine Antwort. Vermutlich bist du auch "nur" ein Angehöriger und nicht selbst erkrankt? Stimmt leider, es ist ein Kampf gegen Windmühlen, allerdings habe ich auch aufgehört zu kämpfen und habe mich distanziert. Auch emotional, aber das tut mir umso mehr weh, eben weil sie doch eigentlich ein großartiger liebenswerter herzensguter Mensch ist. Und meine Mama...


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13.01.2017 07:03
avatar  Emin
#4
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Administrator

@Nucleolus

Zitat von Nucleolus im Beitrag #1
Jetzt in ihrer neuen Wohnung fängt die Tragödie leider von vorne an.


Hallo Nucleolus,

ja ich hab das bestimmt schon 25 mal miterlebt das man geglaubt hat das durch den Umzug, die neue Wohnung alles besser wird doch solange es im den Menschen drin nicht das gefunden wurde was der auslöser ist so ist es Aussichtslos einfach, nach einige Wochen /Monaten sieht es genauso aus, denn der Mensch nimmt ja seine Gewohntheiten mit.

@Henni

Wer weiss, vielleicht klingelt es tatsächlich das Telefon und dein Sohn ist dran. Oder überfalle Ihn einfach, wird davon nicht die Welt untergehen, was meinst du dazu, einfach klingeln und reinlaufen. Doch ich kann dir das total nachfühlen denn mein Sohn fehlt mir auch, er ist auch schon Erwachsen und hat alles mögliche im Kopf nur nicht seinen Vater, naja vielleicht muss ich auch noch etwas losslassen lernen noch....

Beste Grüsse
Emin


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13.01.2017 08:28 (zuletzt bearbeitet: 13.01.2017 08:30)
#5
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@Nucleolus

Deine Wünsche haben sich leider nicht bewahrheitet, dass Deine Mutter etwas ändert wenn sie die Wohnung wechselt.
Es ist immer schwer als Angehöriger der nicht selbst betroffen ist, sich in die Lage der Anderen zu versetzen. Mir geht es ähnlich mit Menschen die in einer z.B.Alkoholabhängigkeit leben. Ich kann es nicht nachvollziehen da ich gar keinen Alkohol trinke.

Ich habe meine Angehörigen und Freunde nicht mehr eingeladen. Bin zu ihnen gefahren, wobei nur wenige Angehörige wussten, wie es bei mir aussah oder aussehen musste. Meine Angehörigen haben mit Sicherheit darunter gelitten, auch, weil ich keine Hilfe annehmen wollte, haben es letztendlich aber akzeptiert.

Ich würde wenn Du Deine Mutter sehen willst, sie einladen, ebenso würde ich es mit dem Baby machen. Dadurch reisst der Kontakt nicht ab. Aber Du hast die Kontrolle. Du hast Dich bemüht, aber konntest letztendlich nicht weiterhelfen. Manchmal muss man Dinge so hinnehmen und akzeptieren auch wenn es schwerfällt und unverständlich scheint.

Auch würde ich Deiner Mutter klare Grenzen setzen, ankommen und kritisieren oder meckern geht nicht. Das würde ich klar deutlich machen. Das war bei mir aber ähnlich. Bei mir sah es aus wie Hulle aber jedes Fädchen bei anderen hat mich gestört. Das ist glaube ich auch ein bisschen der Verdrängungseffekt.

Deine Mutter wird vermutlich nicht viele soziale Kontakte haben, auch wenn sie es vielleicht nicht so zeigen kann, sie wird froh sein, dass sie weiter an Eurem Leben teilhaben darf.

Ich drücke Dir die Daumen dass es klappt.

Viele Grüsse


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